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Die letzte Fahrt der Glücksgöttin

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Von: Frank Weiner

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Für das Kreisblatt erinnern sich die Initiatoren dieser im Kreis wohl einmaligen Geschichte noch einmal zurück an mehr als 30 spannende Jahre.

Im März gab es noch einmal fast stündlich Einträge im „Logbuch“, doch seitdem ist es still geworden um ein besonderes Schiff der deutschen Marine: Die „Gefion“ ist seit dem Frühjahr 2014 endgültig Geschichte, sie wurde in Frederikshavn in Dänemark zerlegt. Einzelne Teile des Minensuchboots, das überwiegend aus Holz gebaut worden war, dürften noch wiederverwendet werden. Der Rest der „Gefion“ wurde verschrottet.

Ein Minensucher

Was das alles mit Kelkheim zu tun hat? Auf den ersten Blick und für Neubürger nicht viel, für Insider aber eine ganze Menge. Denn die Stadt hat 1971 die offizielle Patenschaft für das Minensuchboot übernommen, die wiederum vom FZH Blasorchester Hornau mit Leben gefüllt wurde – ganze 31 Jahre lang, bis die „Gefion“ im März 2002 in Wilhelmshaven außer Dienst gestellt wurde. Danach wurde sie umgebaut und diente einige Jahre in Parow bei Rügen als Schulschiff der Marinetechnikschule, bis die Dänen sie für ihre letzte Fahrt kauften. Dieser Abschied ist für das Kreisblatt nun Grund genug, gemeinsam mit den Patenschafts-Initiatoren Alois Jung und Willi-Heinz Jost noch einmal zurückzublicken auf eine wohl im Main-Taunus-Kreis einmalige Freundschaft.

Noch im Sommer hatte das Blasorchester zu seinem 60. Geburtstag alle ehemaligen „Gefion“-Fahrer zu einem Treffen eingeladen. Nun bleiben noch die Erinnerungen. Doch Abschied genommen haben Jung und Jost längst. Als das Boot außer Dienst gestellt wurde, waren einige Kelkheimer mit von der Partie, durften ein letztes Mal an Bord. „Das war schon traurig“, sagt Jung, ehemals Vorsitzender des FZH-Orchesters. Jost sagte drei Jahre später in Parow dann persönlich „Tschüss“, denn sein Enkel Maximilian wollte das im Verein bestens bekannte Schiff noch einmal sehen. Also machten sich beide auf an die Ostsee und erhielten eine Privatführung auf der „Gefion“. Einen Schwimmer als Andenken nahm Jost ebenfalls mit.

Wer das Vereinsheim des FZH betritt, der wird noch deutlich mehr Erinnerungsstücke an die Partnerschaft entdecken. Da hängt ein Schild, dort reihen sich Fahnen aneinander, es gibt zwei Glocken, Fotos, Kappen und vieles mehr. Keine Frage: Dieser Kontakt zwischen den Musikern und den Marinesoldaten war etwas ganz Besonderes. Alle zwei Jahre sei die Besatzung zu Gast in Kelkheim gewesen, sagt Jung. In den Jahren dazwischen statteten die Kelkheimer ihrer „Gefion“ einen Besuch im Heimathafen Neustadt/Holstein ab. Mehr noch: Jung selbst war mal drei Wochen mit dem Boot auf hoher See unterwegs, zwischen Borkum, Sylt und England. Da bekam er sogar die Kanaltaufe und wurde an Deck mit Seifenwasser abgeschrubbt.

„Ein bisschen den maritimen Touch hatte ich schon“, blickt Jung zurück. So sei er als Bub mal sechs Wochen mit einem Kinderchor auf der Insel Borkum gewesen. Das sei ein Grund für die Entstehung der Patenschaft gewesen. Weitaus wichtiger waren aber die Erfahrungen befreundeter Musikgruppen aus der Pfalz, die vor mehr als 40 Jahren Paten eines Schnellboots der Marine geworden waren. „Das können wir auch“, dachte sich Vorsitzender Jung voller Tatendrang und rief beim Marinekommando in Flensburg an. Es gab allerdings zwei Haken: Ein Schnellboot war nicht mehr im Angebot, sondern nur der etwa 18 Knoten „langsame“ Minensucher „Gefion“, benannt nach der germanischen Göttin der Familie und des Glücks. Zudem musste eine Marinekameradschaft oder die Stadt die Patenschaft übernehmen – das FZH-Orchester kam dafür nicht in Frage. Bürgermeister Winfried Stephan machte sofort mit – und so beschloss die Kelkheimer Stadtverordnetenversammlung am 9. Oktober 1971, das Boot unter ihre Fittiche zu nehmen. Es habe damals sogar Gegenstimmen gegeben, weil auf dem Schiff auch Zeitsoldaten ihren Dienst taten, wundert sich Jung noch heute.

Wie dem auch sei: Es war der Beginn einer wunderbaren Freundschaft. Mehr noch: Insgesamt vier Ehen wurden zwischen Besatzungsmitgliedern der „Gefion“ und Frauen aus Kelkheim sowie Umgebung (darunter zwei aus dem Blasorchester) geschlossen. Und die Hessen konnten von den Nordlichtern einiges „lernen“. „Zum Beispiel haben wir die Erfahrung gemacht, dass ein Kapitän auch seekrank sein kann und keinen Fisch isst“, erinnert sich Jung noch an die Jungfernfahrt in den Norden gemeinsam mit Josef Becker, Willi Vogt und Winfried Stephan. „Es hat zwar nur nach Dieselöl gerochen, aber wir haben nix Negatives gefunden“, berichtet er.

Kleidersammlung

Kein Wunder, dass Jung auch unzählige Anekdoten erzählen kann. Etwa die, als die „Gefion“-Mannschaft mal wieder zu Besuch war, aber nur ihre Matrosenkluft dabei hatte. Kurzerhand sammelten die Chormitglieder Kleider und statteten die jungen Soldaten passend aus – „damit sie auch mal nach Sachsenhausen oder in die Disco gehen konnten“. Apropos feiern: Das ging in Kelkheim wie in Neustadt gleichermaßen gut. Jung selbst war einmal in der Kajüte des Bootes statt in der Kaserne eingeschlafen und am nächsten Morgen fälschlich als Unteroffizier aus den Federn geholt worden. Ein anderer Kelkheimer war im Straßengraben eingenickt, hatte nichts bei sich und musste später von Jung als Mitglied der hessischen Delegation identifiziert werden. Schließlich sorgten die Gäste noch für einen offiziellen Einsatz des Minensuchers: Sie hatten ein Fass Ebbelwoi an einem Seil im Wasser zur Kühlung befestigt. Doch es sank auf den Grund ab – und die „Gefion“-Taucher mussten ausrücken.

Die Soldaten hatten ohnehin ein Herz für ihre Kelkheimer Freunde. Von dem schmalen Wehrsold sammelte die Besatzung hin und wieder Geld für soziale Zwecke. Einige Tausend Euro konnten so an das Haus Walburga in Kelkheim übergeben werden. Und Kapitänleutnant zur See Jürgen Pallasch, von 1985 bis 1993 Kommandant der „Gefion“, erhielt sogar die Ehrenspange der Möbelstadt. Kein Wunder, dass Jung und Jost nun noch einmal fürs Kreisblatt mit Wehmut zurückblicken. Eine neue Patenschaft? Das war mal eine Überlegung wert – doch gibt es bei der Bundesmarine solche Kontakte offiziell nicht mehr. So trösten sich die „Gefion“-Fahrer mit gelegentlichen Treffen und tollen Erinnerungen, denn wie sagt Alois Jung: „Das waren schöne Zeiten.“

(wein)

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