Münster: Ein historisches Jubiläum mit Sorgenfalten

Gesangverein „Liederkranz“ Münster besteht 150 Jahre, aber das Personal dünnt immer weiter aus
Münster. Dieter Geiger und Edmund Wurm schauen gerne zurück. „Es war schon eine gute Gemeinschaft“, sagt der Vorsitzende des Gesangvereins „Liederkranz“. Sei die Singstunde vorbei gewesen, hätten die Sänger oft noch gefeiert. An Fastnacht traten sie als „junge Sänger“ auf, sorgten für Stimmung bei der TSG-Sitzung mit Titeln wie „Mann im Mond“, „Häuptling der Indianer“. Geschäftsführer Wurm: „Man war und ist unter Freunden.“
Markenzeichen: Fahrten, Wettstreite
In der Vergangenheit redet das Duo, weil es zurückzuschauen gilt. Denn der „Liederkranz“ besteht stolze 150 Jahre, feiert das Jubiläum aber klein (Text rechts). Die Zeitform wählen die Vorstandsmitglieder auch, weil sich doch einiges geändert hat. Geiger fing 1961 an, mit fast einem Dutzend Kumpels. Es habe ja nur wenige Vereine im Ort gegeben. Bei Sängerfesten mischte der Chor mit, war ambitioniert, holte oft vordere Plätze. Geiger erwähnt besonders die Sängerfahrten, an denen mit Partnerinnen um die 70 Leute teilnahmen. Von der Lüneburger Heide über den Spreewald bis ins Altmühltal und an den Bodensee führten die Touren. Zum Teil gab der „Liederkranz“ dort kleine Konzerte. Einmal wollten sie in der Klosterkirche Weltenburg das „Sanctus“ singen, doch das habe so schräg geklungen, erinnert sich Geiger. Da habe der Chor „Großer Gott, wir loben dich“ angestimmt - das Lied haben sie im Schlaf gekonnt. Sogar in der berühmten Semper-Oper in Dresden haben sie gesungen.
Die Chronik blättert viel weiter zurück. Schon ins Jahr 1844. Dort soll es in Münster bereits einen Gesangverein gegeben haben, der sich „Die Taunussänger“ nannte. „Infolge Uneinigkeit“, so steht es geschrieben, löste sich die Gruppe auf. „Bei einem Streit wurde die Fahne im Gasthaus ,Goldner Löwe’ verbrannt“, wird das Aus um 1872 datiert. Unterlagen gibt es nicht mehr. Sicher ist, dass am 6. Juli 1873 der „Liederkranz“ wohl als Folge der ersten Gesang-Versuche gegründet wurde. Anton Schreiber war Vorsitzender, Heinrich Mollath Schriftführer, Wilhelm Schiela Kassierer und Josef Müller Archivar. Neue Mitglieder wurden geworben, aber auch Strafgelder für unentschuldigtes Fehlen in der Singstunde oder Zuspätkommen fällig. 1888 wurde die neue Fahne geweiht.
Der Erste Weltkrieg stoppte diesen Aufschwung jäh, acht aktive Mitglieder fielen. Johann Herr sorgte als Vorsitzender für den Neustart. Das Fest zum 50-jährigen Bestehen brachte als Reingewinn in der Inflation eine achtstellige Summe - die nur für eine Zigarre je Sänger gereicht habe, so die Chronik. Der Zweite Weltkrieg sorgte wieder für Stillstand, und der Vorsitzende Peter Josef Herbert diesmal für den Neubeginn. Bis zu 70 Sänger hatte der „Liederkranz“, trat beim Bundeschorkonzert in Wiesbaden auf. Ein Tief folgte auf dem Fuß: 1958 trat der Vorstand zurück, weil es nur noch 22 aktive Sänger waren. Ein junges Team um Hans Sachs konnte wieder Mitglieder werben. 1964 wurde eine Freundschaft zum „Reuver Männerchor“ in Holland geknüpft. Eine neue Zeit brach mit Dirigent Heinz Krämer an, der den Chor 22 Jahre führte, und mit dem Vorsitzenden Heinrich Müller, der von 1968 bis 1993 Chef war. 1977 erhielt der Verein für mehr als 100 Jahre Bestehen die begehrte „Zelter-Plakette“.
Große Hoffnungen, so Vorsitzender Geiger, verband der „Liederkranz“ 1983 mit dem Start eines Knabenchors, die „Münsterer Chorbuben“, in dem um die 20 Jungen zwischen sechs und zwölf Jahren sangen. Anfang der 2000er kam das Aus für die Gruppe, zuvor seien sie bei Konzerten kaum noch singfähig gewesen. Ein Mitglied ist für den Chor der Erwachsenen am Ende geblieben. Dabei sind die Namen der Dirigenten klangvoll, denn auch der bekannte Paulus Christmann führte den „Liederkranz“ vier Jahre. Seit 1994 ist Ulrich Stoll nun der Mann am Taktstock - fast 30 Jahre lang. Der Frauenchor wurde 2001 gegründet. Nach einem Werbebrief hatten sich zwölf Interessentinnen gemeldet. Über Dirigent Stoll wurde die neue Leiterin Clarice Dinez Ferreira gefunden, weitere Sängerinnen wurden angeworben. Zum 10. Geburtstag veranstalteten die Damen ein Konzert mit dem ZDF-Chor, das laut Geiger „sehr großen Anklang fand“.
Die Chronik hebt auch die Geselligkeit im Verein hervor. Schon vor dem Zweiten Weltkrieg wurden Theaterstücke von Sängern und ihren Frauen aufgeführt, später gab es Familienabende. Die unter Christmann eingeführten „Trainingslager“ waren beliebt. Zum 125. Geburtstag gab es Festkommers, Kinder- und Jugendchorsingen, zwei Freundschaftssingen mit je gut 20 Gruppen.
Davon ist der aktuelle „Liederkranz“ weit entfernt. Die Perspektiven treiben Geiger und Wurm die Sorgenfalten auf die Stirn. „Da waren wir noch ein Chor“, sagt der Geschäftsführer beim Blick in die Festschrift 1998. Schon seit vielen Jahren singen die noch gut zwölf aktiven Männer in der Chorgemeinschaft zusammen mit dem „Liederkranz“ Kelkheim und der „Euterpe“ Hornau - jeweils mangels Personal. In den anderen beiden Vereinen sehe noch dünner aus, weiß Geiger. Der Frauenchor in Münster hat immerhin noch knapp 20 stimmgewaltige Damen.
Werbeaktionen nicht von Erfolg gekrönt
Die Lage sei „sehr bescheiden“, redet Geiger gar nicht um den heißen Brei herum. Der Nachwuchs fehle schlicht. Der Verein habe viel versucht, erst mit dem Knabenchor, mit einem offenen Singen, dann mit Werbung in Anzeigen und sogar an der Haustür. Das habe wenig Erfolg gehabt, bedauern Geiger und Wurm, die mit Schriftführer Karl-Heinz Wolf, Notenwart Carsten Niegemann sowie Beatrice Beer, Birgitt Vissing und Kirsten Kremer aus dem Frauenchor das Team bilden. Doch die Hoffnung, dass ein 150. Geburtstag neuen Schwung bringt, die stirbt zuletzt.
Zwar feiert der „Liederkranz“ Münster ein besonderes Jubiläum, doch ein großes Festjahr wird es nicht geben. Wurden früher für solche Anlässe Zelte aufgebaut, Wettstreite organisiert, läuft es nun deutlich bescheidener ab. Am Samstag ist eine interne Ehrungsfeier geplant. Der Frauenchor und die Männer in der Chorgemeinschaft mit Hornau und Kelkheim stellen sich am Sonntag, 7. Mai, 16 Uhr, mit einem Jubiläumskonzert in der katholischen Kirche St. Dionysius vor. Dort werden auch die Damen und Herren gemeinsam singen.
Ansonsten ist 2023 das übliche Chorleben geplant mit den Singstunden im Mittelpunkt. Die Frauen proben montags um 19.30 Uhr im Alten Rathaus. Die Männer als Chorgemeinschaft dienstags um 19.30 Uhr im Wechsel im Alten Rathaus sowie beim „Löwen“ in Kelkheim. Neulinge sind jeweils willkommen. Informationen gibt es beim Vorsitzenden Dieter Geiger: d.geigerkelk@t-online.de .

