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Ruppertshain: „Das hilft so viel, wenn man traurig ist“

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Von: Frank Weiner

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Die Gruppe „Ausdrucksmalen“ mit Ute Hausotte (hinten, 2. v. l.) und Salomé Korschinowski (vorne rechts).
Die Gruppe „Ausdrucksmalen“ mit Ute Hausotte (hinten, 2. v. l.) und Salomé Korschinowski (vorne rechts). © wein

Beim Ausdrucksmalen für Geflüchtete entstehen erschreckende, aber auch mutmachende Bilder.

Ruppertshain. Das Bild lässt dem Betrachter einen Schauer über den Rücken laufen: Eine verschleierte Frau kniet am Boden und wirft ein Schulbuch fort, während ihr dahinter ein Taliban ein Maschinengewehr an den Kopf hält. Mastora hat dieses Bild gemalt. Die 29-Jährige stammt aus Afghanistan, ist vor etwa sieben Monaten mit ihren jüngeren Schwester Sana (15) nach Deutschland geflüchtet. Beim Ausdrucksmalen in der Ruppertshainer Flüchtlingsunterkunft ist dieses Motiv entstanden. Aber auch ein späteres Gemälde stammt von Mastora, das deutlich mehr Zuversicht verbreitet. Es zeigt vier Blumen vor einem strahlend blauen Himmel auf einer satten grün-gelben Wiese.

„Es sind Menschen, die geflüchtet sind und ihre Seele noch zu Hause haben“, sagt Ute Hausotte, ausgebildete Begleiterin fürs Ausdrucksmalen. Hier in den Flüchtlingsunterkünften in Ruppertshain sei das „Malen für die Seele“ wichtig. Sie wolle den Frauen helfen, damit in eine „Eigentherapie zu kommen“, sich selbst zu spiegeln. Sie benutzt dafür den Satz „Das Ich braucht das Du“. Hausotte, die ihr Atelier früher am Zauberberg hatte und nun in Höchst ist, betreut das Ausdrucksmalen. Dort treffen sich seit gut fünf Wochen an jedem Mittwoch Mädchen und Frauen zum Malen.

In den beiden Unterkünften leben knapp 80 Menschen, die meisten sind Frauen und kommen vor allem aus Afghanistan, Äthiopien, dem Iran, Eritrea und Somalia. Salomé Korschinowski, die neue Vorsitzende des Ausländerbeirates (Text rechts), hat den Arbeitskreis für Flüchtlinge im Ort initiiert. Es gebe das Projekt „Frauen stärken“ mit Vorträgen, Ausflügen, Besuch im Kräutergarten, Bogenschießen. Durch die Sorgen sei sie auf die Idee einer Maltherapie gekommen und hat Ute Hausotte gefragt.

Die Bilder zeigen Zustände, die in der Heimat herrschen. „In Afghanistan muss man sich verschleiern und man darf nicht zur Schule gehen, das verbieten die Taliban“, sagt Mastora. Ihre Schwester Sana hat eine verschleierte Frau gemalt, mit einem Friedensbaum und fast flehenden Worten „I want Freedom“ („Ich will Freiheit“). Ihre Mutter steckt noch in der Türkei fest und erhält kein Visum. Der Vater ist tot, der Rest ihrer Familie lebt in Afghanistan. Die beiden wollen eigentlich in ihrer Heimat studieren, können das aufgrund der Herrschaft der Taliban aber nicht. Hier in Deutschland hoffen sich auf einen Neubeginn und wünschen sich nichts sehnlicher, dass auch ihre Mutter nach Ruppertshain kommen kann. Das Ausdrucksmalen helfe ihnen schon sehr, sagen Sana und Mastora.

Hausotte berichtet von ihrem Aufwand und der Zeit, die sie investiert. So läuft der Kurs nun erst einmal aus. Doch der Arbeitskreis hofft, dass sich neue Unterstützer finden, die bei der Fortsetzung und Finanzierung helfen. Denn die Leiterin weiß: „Das Malen gibt ihnen die Möglichkeit, das Trauma zu verarbeiten. Es hat gedauert, bis sich die Mädchen getraut haben und richtige Bilder entstanden sind.“ Es gebe ihnen einen Weg, sich zu öffnen. Später seien die Bilder entstanden, die Freiheit ausstrahlen, freut sich Hausotte, die vor allem für die Frauen da war, ohne große Vorgaben zu machen. Aber die Techniken hat sie erläutert.

Hoffen auf Unterstützer und Fortsetzung

Dolmetscherin Feri Asadbeige, die aus dem Iran stammt und seit zehn Jahren in Deutschland lebt, sagt, dass dieses Thema Taliban von der Bildfläche verschwunden ist und viele nicht mehr darüber sprechen, es aber auch wichtig sei. Sie hilft inzwischen in der Flüchtlingsarbeit mit. „Ich liebe die Menschen hier, egal aus welchem Land, will einfach hilfsbereit sein.“ Auch Asadbeige hat mitgemalt und weiß: „Das hilft so viel, wenn man traurig ist.“

So geht es auch Michaela aus dem Arbeitskreis, die ebenfalls zum Pinsel greift und ein farbenfrohes Werk mit vielen Schwüngen und Kreisen entstehen lässt. Sie sei bereits 1949 mit ihrer Mutter aus politischen Gründen aus Prag geflüchtet. Über viele internationale Stationen kam sie vor 14 Jahren nach Deutschland. Und auch sie sei noch dabei, die damalige Flucht zu verarbeiten. „Man ist gezeichnet, das hängt fest drin.“ Das Malen helfe ihr sehr, aber sie weiß auch: „Die Liebe ist das Heilmittel für alles.“

Für die Malerinnen gibt es „kein richtig und kein falsch“, sagt Hausotte. Den Weg sei wichtig. „Jeder hat das Bedürfnis, die Freude zu finden.“ Und die Flüchtlinge möchten Deutschkurse besuchen, war bisher nicht immer schnell geklappt hat. Der Arbeitskreis steht ihnen zur Seite, bald steht das Neujahrsfest Nouruz an, für die Osterferien hat Korschinowski Aktivitäten in Planung. Und hofft, dass es mit dem Malen weitergehen kann. Von Anton Schubert

Kontraste: Angriff eines Taliban und Blumenfeld.
Kontraste: Angriff eines Taliban und Blumenfeld. © wein

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