Der Angeklagte äußert sich zur Todesfahrt in Kriftel: „Ich bin von einem Spaß ausgegangen“

Im 2. Prozess gegen Hendrik R. kam dieser nun zu Wort. Er steuerte das Auto, durch das Silke Thielsch 2015 ums Leben kam.
Kriftel/Frankfurt. „Ich weiß nicht, ob ich das aushalten könnte“, gab der Vorsitzende Richter der 22. Strafkammer des Frankfurter Landgerichts, Dr. Jörn Immerschmitt, gestern zu Beginn des zweiten Verhandlungstag im Thielsch-Prozess zu. Für Bruder und Lebensgefährte sowie Freunde und Verwandte sei es ein „Verfahren mit großen Emotionen“, wenn nun noch einmal das Geschehen vom 6. September 2015 aufgerollt wird. Es gebiete vor allem der Respekt vor dem Opfer, sowohl im Gerichtssaal als auch auf dem Flur auf Unmutsäußerungen zu unterlassen, mahnte der Richter.
Wie schon im 1. ließ sich nun auch im 2. Prozess der Angeklagte Hendrik R. zu der Sache ein. Im 1. Urteil des Landgerichts, das vom Bundesgerichtshof kassiert wurde, sei dessen Erklärung, die er mündlich abgegeben hatte, anders dargestellt worden. Deshalb werde sie nun schriftlich vorgelegt, so die Verteidigung. Nach dem Besuch des Hoffestes mit den Freunden Benjamin und Daniel habe man sich auf den Heimweg gemacht, heißt es in der Einlassung, die von Verteidiger Edgar Fiebig verlesen wurde. Das Auto des Vaters, das Hendrik R. an dem Abend nutzte, hatte dieser am Straßenrand „Auf der Hohlmauer“ Richtung Kreisel geparkt. Um nicht auf der Straße wenden zu müssen, so Hendrik R., sei er geradeaus gefahren und sah Silke Thielsch und ihren Lebensgefährten Oliver Kriz mittig auf dem Zebrastreifen stehend sich küssen.
An dem Paar hätte er nicht vorbeifahren können, dann wäre er in den Gegenverkehr gekommen, so die Aussage des Angeklagten. Er fuhr weiter vor an den Zebrastreifen, wo sich das Paar weiter küsste. Er habe sich dann auf das Navi konzentriert, das er auf der Hinfahrt verstellt hatte. Als er dann den Lebensgefährten links gesehen und Silke Thielsch aus dem Blickwinkel verloren hatte, habe er gedacht, sie sei auch weg. Also habe er den Fuß von der Bremse genommen. Als er plötzlich die 41-Jährige auf der Motorhaube sah, „ich bin von einem Spaß ausgegangen“.
Eine „totale Fehleinschätzung“, wie er nun sagt. Dass er weitergefahren ist „war der größte Fehler meines Lebens“. Wenn er es für möglich gehalten hätte, dass Silke Thielsch unter das Auto geraten sei, „hätte ich angehalten“. Dass einer seiner Insassen ihn angefleht hatte, anzuhalten, weil er eine Frau überfahren habe, hielt er für „einen dummen Spruch“. Hendrik R. war weitergefahren, Silke Thielsch war von der Motorhaube gerutscht und wurde im Radkasten eingeklemmt. Dass er sie 400 Meter mit geschleift hat, will er nicht bemerkt haben. Erst als er hinter der Kreuzung der L 3011 im Lenkrad eine seltsame Bewegung bemerkte, stoppte er.
Auch Benjamin, der damals auf dem Beifahrersitz saß, kann sich an kein Ruckeln erinnern, was darauf hätte schließen lassen, dass sich der Körper von Silke Thielsch irgendwie verfangen hätte. Doch zeigte sich bei den Aussagen des 33-Jährigen, der gestern als Zeuge geladen hat, wie schwierig es nach siebeneinhalb Jahren ist, das Geschehen genau zu rekonstruieren. Wobei Richter Immerschmitt den Beteiligten sehr feinfühlig zu verstehen gab, dass es nur allzu nachvollziehbar ist, wenn nicht jede Einzelheit heute noch so präsent ist wie damals. Deshalb werden auch die Protokolle der Aussagen bei der Polizei und im ersten Prozess ergänzend zur Hilfe genommen. Auch Benjamin berief sich gestern mehrfach auf seine Aussagen kurz nach dem Geschehen.
Freunde haben keinen Kontakt mehr
Ob Hendrik R. vom Navi abgelenkt war, das weiß er nicht mehr. Dieser habe sich aber über das Pärchen auf dem Zebrastreifen aufgeregt. Ja, er und Daniel hatten Hendrik R. aufgefordert, die Fahrt zu stoppen, wie oft und wann - so genau kann er sich nicht erinnern. Benjamin hat keinen Kontakt mehr zu seinem einst besten Freund Hendrik. Dessen Whatsapp-Nachricht kurz nach dem Geschehen ließ er bis heute unbeantwortet. Der zweite Freund, der mit im Auto sah, war gestern nicht erschienen.
Ausführlich wurde indessen der Lebensgefährte von Silke Thielsch, Oliver Kriz, befragt. Der 45-Jährige schilderte, dass er mit psychologischer Hilfe das Geschehen verarbeitet habe, das er aber nie vergessen werde. Ständig komme er an der Stelle vorbei, wo Silke Thielsch starb. Es bleibe eine Wunde, die durch den Prozess nun auch wieder aufgerissen werde. Nach dem Hoffest habe er damals mit seiner Lebensgefährtin am Zebrastreifen gestanden und auf ein Taxi gewartet. „Wir haben uns geküsst.“ Dem Fahrer des Mercedes habe er mit einer Geste gezeigt, um sie rum zu fahren. Es seien ja auch andere Auto, mindestens zwei oder drei, an ihnen vorbei gefahren.
Richter weist Frage zurück
Der Mercedes war so nah an das Paar herangefahren, dass sogar sein Bein berührt wurde, erinnert sich Oliver Kriz. Dann fehlen ihm wenige Sekunden. Auf dem Rücken liegend wurde er wach, rief „wo ist meine Frau?“ Er sah ein Auto wegfahren, lief hinterher. Bis hinter die Kreuzung, wo er seine Lebensgefährtin tot eingeklemmt im Radkasten fand. Einer der beiden Verteidiger des Angeklagten fragte, warum Kriz erst im 1. Prozess und nicht schon bei der Polizei angegeben hatte, dass er dem Mercedesfahrer angezeigt hatte, um sie herum zu fahren: „Könnte es sein, dass Sie sich Vorwürfe gemacht haben, dass Sie nicht vom Zebrastreifen weggegangen sind?“ Er habe das gesagt, woran er sich erinnere, so Kriz. Nicht die einzige Frage, die den Vorsitzenden Richter verwunderte. Die Frage des zweiten Verteidigers, ob Kriz inzwischen wieder in einer festen Beziehung sei, wies Immerschmitt zurück. „Ich weiß nicht, welchen Wert diese Frage hat“. Oliver Kriz beantwortete sie trotzdem: Ja, er sei verheiratet und habe einen Sohn.“
Der Prozess wird am 9. März fortgesetzt.
