Engagement in der Politik: „Das macht zu viel Arbeit“

Juniorwahl 2023: Kinder und Jugendliche üben Demokratie.
Kriftel -In Kinder wurde immer viel hineinprojiziert. Da gab es Wunschkinder, Wunderkinder oder Kinder des Zorns. Herbert Grönemeyer forderte schon 1986 in seiner Hymne Kinder an die Macht „Die Welt gehört in Kinderhände“. Kurz vor der Hessenwahl durften in Kriftel die Kinder und Jugendlichen ihre Meinung kundtun. In der Aula der Weingartenschule und im Freizeithaus nebenan konnte jeder, der wollte, sein Kreuzchen bei der Partei seiner Wahl machen. Geheim und freiwillig, wie in einer Demokratie üblich. Unabhängig von Herkunft, Nationalität, Aufenthaltsstatus und Bildungshintergrund. Die Juniorwahl 2023 stand an. Und zwar nicht nur in Kriftel, sondern in ganz Hessen. Das Format gibt es deutschlandweit seit 1999.
Die Idee entstand nicht von ungefähr. Denn angesichts zentraler gesellschaftlicher Heraus-forderungen wie zunehmendem Extremismus und Populismus, einer Verschärfung des politischen Diskurses sowie einer ausgeprägten Skepsis gegenüber Parteien kommt der politischen Bildung eine hohe Bedeutung zu.
Auch Semira Buch, Honorarkraft des Freizeithauses, findet eine simulierte Wahl für Schüler wertvoll: „So übt man schon früh demokratische Regeln und lernt deren Bedeutung kennen.“ Sie ist an diesem Tag mit Lydia Rauh als Begleiterin im Freizeithaus tätig.
Der stellvertretende Schulleiter Alexander Heyd und seine Kollegin Marlene Krüger sind mit ihren Klassen dabei. Rund 40 Jugendliche stehen draußen vor dem Freizeithaus und wedeln mit ihrer Wahlberechtigung. Die haben sie im Unterricht bekommen. Alles soll so echt wie möglich sein. Sogar Erst- und Zweitstimme können vergeben werden. Nur die Wahlzettel sind kleiner. Drinnen ist alles so arrangiert, wie es sich am 8. Oktober für die erwachsenen Wahlberechtigten darbietet. Inklusive Wahlzettel, Wahlkabinen und Urnen.
Aus dem Ergebnis soll sich ein politisches Stimmungsbild der Kinder ergeben. Powi-Lehrerin Marlene Krüger hat die Programme der Parteien mit ihren Schützlingen durchge-ackert und Wahlplakate einer kritischen Bestandsaufnahme unterzogen. Dabei wurden auch die wichtigsten Haltungen und Themen für die Schüler zusammengefasst. Dabei fiel ihnen gemeinsam auf, wie sperrig und kompliziert die meisten Wahlprogramme sind. „Die Sprache der Parteien ist oft erschreckend nichtssagend“, lautet das Resümee. Ein Satz wie „Der Souverän ist das Volk“ sei schwer verständlich und verwirre mehr, als dass er informiere, so Krüger. Die Jugendlichen wollten es kurz und knackig.
Manche wissen gar nicht, was sie hier sollen. „Müssen wir hier wählen?“, fragen ein paar Vorwitzige. „Bringt doch nichts.“ Es sei eher genau das Gegenteil der Fall, findet Sarah: „Es geht doch um unsere Zukunft!“ Ihre Klassenkameradin ergänzt: „Wir sind die Zukunft.“ Beide finden es gut, dass es „hier freie Wahlen gibt“. Es sei „eine Chance, mitzuerleben, was Demokratie bedeutet“.
Verunsichert hatten einige Schüler ihre Ergebnisse im Wahl-O-Mat. Da kamen nämlich auch schon mal unerwünschte Präferenzen zum Vorschein. „Wir waren plötzlich auf einer ganz anderen Seite“, berichten die Schüler, die sich politisch woanders verortet hatten. Manchmal konfrontiere eben die Entscheidungshilfe Wahl-O-Mat einen selbst mit einer Partei, die man für sich ausgeschlossen habe, sagt Alexander Heyd. Besonders wichtig sind den Jugendlichen Themen wie Klimaschutz, Digitalisierung (überwiegend von Jungs geäußert) und Innere Sicherheit.
Bei der Frage, ob es richtig sei, mit 16 schon wählen zu dürfen, sind sich die jungen Leute nicht einig. Viele finden, es sei zu früh. „Man lässt sich zu sehr beeinflussen, kann viele Entwicklungen noch nicht richtig einschätzen, fasst es Jarne zusammen. Alexander Heyd weiß aus Erfahrung, dass die meisten Schüler sich eher wenig für Politik interessieren. Kaum einer möchte sich später politisch engagieren. „Zu viel Arbeit“, „zu wenig Freizeit“, heißt es zu den Gründen.
Einer, der es wissen muss, weil er seit 2006 Kriftels Bürgermeister ist, wirbt dafür: „Engagiert Euch - Ihr seid die Zukunft und müsst unser Land und unsere Gemeinde zukünftig mitgestalten“, so Christian Seitz. Er kam aus Interesse bei der Juniorwahl vorbei. Er findet es schade, dass nur wenige Jugendliche politisch mitarbeiten wollen. Allerdings gebe es auch andere Beispiele, und Seitz nennt das „Krifteler Jugendforum“, an dem über 20 Jugendliche seit über einem Jahr engagiert mitarbeiten. Auf der kommunalen Ebene habe man richtig Einfluss. „Da bist Du eine Stimme von 20 Mitgliedern im Jugendforum und nicht von 82 Millionen“, hebt er hervor. Daher sehe man hinterher, wofür man sich eingesetzt habe und was in der Gemeinde entstehe. Nathalie, Mitglied im Jugendforum, pflichtet dem Rathauschef bei: „Ich kann dort mitbestimmen, was in Kriftel verhandelt wird, und gebe Jugendlichen eine Stimme“, erklärt sie.
Jedenfalls bekommt diese Art von politischer Arbeit an diesem Tag in der Diskussion mit dem Bürgermeister weitaus mehr Zustimmung als die Aktionen der „Klimakleber“. „Diese Aktionen sind übertrieben“, findet Schülerin Lulya. Der stellvertretende Schulleiter schmunzelt: Hier sei eben nicht die letzte, sondern die nächste Generation befragt worden. Bei der abschließenden Umfrage unter den Testwählern, wer der amtierende Ministerpräsident in Hessen ist, ernüchtert das Ergebnis. Kaum einer weiß das auf Anhieb.
Extra: Die meisten wählten CDU
Am Wahlsonntag ab 18 Uhr wurden auch die Stimmen in der Weingartenschule ausge-zählt. 574 Stimmen wurden abgegebenen, 25 Stimmen waren ungültig. Die Wahlbeteiligung lag bei 89,3 Prozent. 21 Parteien standen zur Wahl. Auf die CDU entfielen 32,1 Prozent der Stimmen, die SPD erhält 26,2 Prozent, FDP und AfD erhalten je 7,5 Prozent. Für die Grünen stimmten 8,2 Prozent der Schülerinnen und Schüler, für die Linke 4,4 Prozent. Die sonstigen Parteien bekommen zusammen 58 Stimmen.
