Kriftel: Freunde konnten Todesfahrer Hendrik R. nicht stoppen

Im Thielsch-Prozess kämpfen Zeugen auch nach siebeneinhalb Jahren noch mit den Tränen - und Erinnerungslücken.
Kriftel/Frankfurt. Es sind kleine Puzzleteile, die die 22. Strafkammer des Landgerichts Frankfurt unter der Leitung des Vorsitzenden Richters Dr. Jörn Immerschmitt mühsam zusammensetzen muss, um sich ein eigenes Bild davon zu machen, was am 6. September 2015 nach dem Hoffest am Berg geschehen ist. Wie schwierig dies ist, zeigte sich einmal mehr am gestrigen dritten Verhandlungstag. Geladen waren mehrere Zeugen, die alle mitbekommen hatten, dass Silke Thielsch und ihr Lebensgefährte Oliver Kriz, die sich am Zebrastreifen geküsst hatten, von Hendrik R. in einem Mercedes angefahren worden war. Die 41-Jährige wurde damals auf die Motorhaube geschleudert, rutsche runter und verfing sich im Radkasten. Nachdem sie 400 Meter mitgeschleift wurde, konnte sie nur noch tot geborgen werden.
Doch was haben die Zeugen genau gesehen und vor allem, an was können sie sich noch erinnern? Jens K. kämpft auch siebeneinhalb Jahre danach gestern mit den Tränen, als er dem Gericht erzählt, wie er das Geschehen erlebt hat. Er sei gerade von dem Obsthof Richtung Kreisel gegangen, als er die ihm bekannte Stimme von Oliver Kriz gehört hatte, der rief „wo ist meine Frau“? Dann habe er ein Auto wegfahren sehen und sei dem hinterher. Als er zu dem Wagen kam, der hinter der Kreuzung mit der L 3011 am Straßenrand angehalten hatte, habe er die Beine von Silke Thielsch am Radkasten gesehen. „Ich habe mich hingekniet, gesagt, ,Silke halt durch’.“ Doch von ihr kam kein Lebenszeichen mehr.
Als Jens K. sah, dass der Lebensgefährte angerannt kam, lief er ihm entgegen, wollte ihn abhalten, zum Auto zu gehen. Doch dieser wehrte sich, beide stürzten. Die beiden Männer hat auch Svenja B. gesehen, die als erste mit ihrem damaligen Freund an der Stelle an der Kapellenstraße ankam, wo das Auto endlich angehalten hatte. Zuvor hatte die 32-Jährige, wie viele andere, mit ihrem jetzigen Ehemann am Fußweg in unmittelbarer Nähe des Kreisels gestanden.
Von einem Schrei aufmerksam geworden, habe sie zu dem Kreisel geschaut und „die blonden Haare einer Frau“ auf einer Motorhaube gesehen. Dann sei der Kopf verschwunden gewesen. Sie sei mit ihrem Freund dem Auto hinterher gelaufen. Da sie die Frau nicht mehr sahen, hatten sie mit ihren Handys in den Straßengraben geleuchtet, ob sie da vielleicht liegt.
War es ein Schrei oder ein Knall?
Auch diesmal wurden die Zeugen mit Aussagen konfrontiert, die sie vor siebeneinhalb Jahren bei der Polizei oder in dem ersten Prozess 2017 gemacht hatten. So fragte der Verteidiger des Angeklagten Svenja B., ob sie nun einen Schrei oder vielleicht doch eher einen Knall gehört habe, wie sie es bei der Polizei am 16. September 2015 zu Protokoll gegeben hätte. Interessant für das Gericht war vielmehr die Aussage von Ehemann Markus B., dass so viele Leute an dem Abend nach Schluss der Veranstaltung unterwegs waren, dass der Mercedes nur langsam durch den Kreisel habe fahren können. Ein weiterer Zeuge hat zwar nicht mitbekommen, was am Zebrastreifen geschehen ist, aber er habe noch genau die Geräusche des Mercedes im Kopf: „Der hat was mitgeschleift.“
Nur noch unvollständige Erinnerungen hat auch Daniel, der zusammen mit dem Angeklagten und Freund Benjamin nach Kriftel gekommen war. Eigentlich hatten die drei guten Freunde am liebsten ihre Freizeit auf der Couch an der Playstation verbracht, doch an diesem Abend lockte sie der Abschiedsauftritt von Daniels Vater und dessen Band beim Hoffest nach Kriftel. Über seinen ehemaligen Freund Hendrik R., zu dem er seit dem 6. September 2015 keinen Kontakt mehr hat und den er trotzdem sehr vermisse, will Daniel vor Gericht nichts Negatives sagen. Doch das furchtbare Geschehen belaste ihn noch heute. Nichts am Verhalten seines Freundes habe darauf schließen lassen, dass so etwas passieren könnte.
Nach dem Fest waren alle drei ins Auto gestiegen, den Mercedes von Hendriks Vater, Benjamin auf den Beifahrersitz, Daniel hinter dem Fahrer auf die Rückbank. Sie fuhren bis kurz vor den Kreisel, dort habe er von hinten das Pärchen in der Mitte der Fahrspur gesehen, sagte Daniel gestern vor Gericht, zwei bis drei Meter vor den beiden stoppte der Mercedes.
Zeuge sah „die Frau auf der Motorhaube“
Hendrik sei dann noch ein Stück weiter vorgefahren, bis er die beiden leicht berührte. Dann habe er Gas gegeben. Von der Rückbank aus habe er die Frau auf der Motorhaube gesehen, doch nur wenige Sekunden, dann sei sie vorne rechts über die Motorhaube heruntergerollt, sagte Daniel aus. „Hör auf, bleib stehen“, habe er Hendrik laut und nachdrücklich aufgefordert, stehen zu bleiben. Ähnliches soll Benjamin getan habe. Dann habe er gemerkt, dass der Mercedes „über etwas gefahren ist“. Ja, er habe gedacht, das ist die Frau, so der 32-Jährige. Dagegen hatte sein Freund Benjamin, der auf der Beifahrerseite saß, in der letzten Verhandlung als Zeuge ausgesagt, er habe nichts gemerkt, sondern vielmehr gedacht, dass die Frau von der Motorhaube wohl am Straßenrand liegt. Auch der Angeklagte hatte in seiner Einlassung dargelegt, dass er angehalten hätte, wenn er es für möglich gehalten hätte, dass Silke Thielsch unter das Auto geraten sei.
Der Prozess wird kommenden Donnerstag, 16. März, um 9.30 Uhr fortgesetzt.