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Politiker sind ja auch „richtige Menschen“

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Der Grünen-Landtagsabgeordnete Lukas Schauder im Gespräch mit Schülern der Krifteler Weingartenschule.
Der Grünen-Landtagsabgeordnete Lukas Schauder im Gespräch mit Schülern der Krifteler Weingartenschule. © van de Loo

Weingartenschüler fühlen Landtagsabgeordneten auf den Zahn.

Kriftel -Über Politikverdrossenheit liest man viel. Die Unzufriedenheit mit der Politik geht bei jungen Menschen in Deutschland weit über die Tagespolitik hinaus. Das belegt eine Studie der Vodafone Stiftung Deutschland von 2022. Obwohl die Mehrheit der jungen Menschen (66 Prozent) ihre Generation als eine wahrnimmt, die politisch etwas verändern möchte, hat weniger als ein Drittel (29 Prozent) das Gefühl, Politik beeinflussen zu können.

In der Weingartenschule (WGS) fand jetzt der so genannte „Dialog P.“ statt, eine von der Bundesregierung initiierte Idee, Schüler und Schülerinnen mit Landtagsabgeordneten zu konfrontieren und sich in Diskussionen kennenzulernen. Oberstudienrätin Manuela Becker hatte mit den beiden Klassen G 10a und G 10b diesen Tag minutiös vorbereitet. Sie hatten viele Themen ausgewählt.

Sechs blieben übrig, wie der Stellvertretende Schulleiter Alexander Heyd erklärt: Sollte das Bahnsystem so ausgebaut werden, dass die Fahrkarten günstiger werden und Menschen vom Autofahren umsteigen? Sollte das Schulsystem zeitgemäßer werden und Alltagsthemen wie Kochunterricht und Umgang mit Geld in den Fächerkanon aufgenommen werden? Sollte Cannabis für Menschen ab 18 Jahren im Krankheitsfall legal durch Apotheken erhältlich sein? Sollte es für Schüler ab Klasse fünf sowie für Lehrer einen intensiven Informatikunterricht geben? Sollte Satelliteninternet flächendeckend installiert werden? Sollte bezahlbares Wohnen ausgebaut werden?

Die Moderation des Vormittags mit den Politikern übernahmen die Zehntklässler Leticia und Firat. Der Kelkheimer Fabian Beine (CDU) ist als Ersatzkandidat für Staatskanzlei-Chef Axel Wintermeyer gekommen, er war der jüngste Politiker in dieser Runde. Hans Ulrich Voss (AfD) vertritt den ursprünglich genannten Heiko Scholz, wie geplant gekommen sind Lukas Schauder (Grüne), Kerstin Geis (SPD), Thomas Schäfer (FDP) und Ulrich Wilken (Linke). Sie lauschen zunächst der Einleitung von Schulleiterin Elke Wetterau-Bein, die allen Beteiligten „erhellende Erkenntnisse und viel Spaß“ wünscht. Dann stellt per Video Astrid Wallmann, Präsidentin des hessischen Landtags, das Motto des Tages vor: „Demokratie lebt vom Dialog“.

„Seid mutig und stoppt den Redefluss“

Ein Warm-up der Moderatoren Leticia und Firat lockert die Stimmung auf. Das Auditorium erfährt unter anderem Lieblingsessen und Musikgeschmack der Politiker. Dann kommt es zu dem eigentlichen Wechsel an den Tischen. Jeder Tisch hat sein Thema. Acht Minuten werden die Politiker jeweils an den Tischen verweilen. Die grundlegende Erfahrung mit den Mandatsträgern dort: Sie reden. Und sie reden gerne viel. Das veranlasst schon nach der ersten Runde Oberstudienrätin Becker zu einer kleinen Ansprache an die Jugendlichen: „Stoppt auch mal den Redefluss der Politiker und bringt eure Fragen ein. Seid mutig und selbstbewusst.“

Das klappt dann auch immer besser. An dem Tisch mit den Alltagsthemen in der Schule geht es lebhaft her. Vor einiger Zeit beklagte mit großem Presseecho eine 17jährige Schülerin auf Twitter: „Keine Ahnung von Steuern, aber ich kann Gedichte analysieren.“ Analog dazu kritisiert dieser Mädchen-Tisch das weltfremde Schulsystem. Die Schülerinnen wollen mehr Realität in den Lehrplänen. „Wie schließt man Handy-Verträge ab, was ist ein Schufa-Eintrag, wie eröffne ich ein Konto?“, will Schülerin Ravza wissen. Das sind gute Beispiele, die Politiker sind gefordert, sich zu bekennen. Am Nebentisch ist der öffentliche Nahverkehr ein Riesenthema und die Zulassung von Cannabis sowieso.

Die sich aus den Diskussionen ergebenden Pro- und Kontra-Argumente werden von den Tischmoderatoren festgehalten. In einer gemeinsamen Auswertung am Ende der Veranstaltung werden die jeweils zentralen Gesichtspunkte vorgestellt, um schlussendlich über die Streitfragen abzustimmen. Jeder Teilnehmende ist nun aufgefordert, sich eine eigene Meinung zu bilden und sich zu positionieren. Abgestimmt wird mit Hilfe von grünen und roten Stimmkarten.

Mehr Lebensrealität im Schulplan

Die Ergebnisse werden von allen Beteiligten mit Spannung erwartet: Das Bahnsystem auszubauen, findet 100prozentige Zustimmung. Ebenso mehr Lebensrealität im Schulplan. Bezahlbaren Wohnraum wünschen sich ebenfalls 100 Prozent. Weniger eindeutig sind die Ergebnisse bei den anderen Themen. So steht es 50:50 bei Cannabis und dem IT-Unterricht. Das Satelliteninternet kann die wenigsten Zustimmungen verbuchen.

Und wo liegen die Sympathien? Fabian Beine kann durch seine Jugend punkten („Man merkt, dass der noch Bezug zur Schule hat“) und habe nachvollziehbar gesprochen. Die Schüler können dadurch mehr mit ihm anfangen. Leticia findet es interessant, Politiker auch mal als „richtige Menschen“ zu erleben, die echte Berufe hätten und davon erzählten. Dadurch seien sie „anfassbarer“. WGS-Schüler Ben betont, wie gut es sei, sie einmal von ihrem hohen Ross herunterkommen zu sehen.

Ein positives Fazit ziehen alle Beteiligten: Die Schüler sind überrascht von der persönlichen Atmosphäre mit den Politikern. Der Stellvertretende Schulleiter Alexander Heyd bringt es am Ende auf den Punkt: „Veranstaltungen wie diese sind für uns sehr wichtig, wir brauchen kommende Generationen als streitbare Demokraten in unserer Gesellschaft.“

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