Thielsch-Prozess: „Da geht im Kopf dann das Kino los“

Im Landgericht Frankfurt werden weitere Zeugen sowie die Rechtsmedizinerin befragt. Die geschilderten Ereignisse verlieren auch siebeneinhalb Jahre später nicht an Schrecken.
Kriftel/Frankfurt. „Da gibt es nichts zu lachen“, schallt es Donnerstagvormittag von der Bank des Nebenklägers aus mahnend durch den Saal 8 im Landgericht Frankfurt. Dort wird der zweite Prozess im Todesfall Silke Thielsch fortgesetzt, nachdem der Termin in der vorherigen Woche aufgrund eines Krankheitsfalls abgesagt werden musste. Staatsanwalt, Gutachter und die Verteidiger des Angeklagten Hendrik R. stellen der Rechtsmedizinerin Dr. Constanze Niess, die vor siebeneinhalb Jahren die Obduktion der Leiche vornahm, ihre Fragen. Diese betreffen den Moment aus der Nacht des 6. September 2015, in dem sich Silke Thielsch unter dem silbernen Mercedes, den der Angeklagte fuhr, befand. Es wird theoretisch: „Hätte...“, „Könnte...“, „Wäre es möglich, dass...“ beginnen die Fragen, auf die Dr. Niess mit ihren professionellen Einschätzungen antwortet. Doch viele dieser Fragen sind schlicht nicht zu hundert Prozent eindeutig beantwortbar. Das Frage-Antwort-Spiel wird im Ton salopper, ein Schmunzeln macht die Runde. Dann schallt die Stimme von Oliver Kriz mahnend durch den Saal.
Zeuge wollte das Auto zu Fuß verfolgen
Ihm wurde in jener Nacht die damalige Lebensgefährtin auf dramatische Art entrissen. Eben noch stand das Paar nach einem Besuch des Hoffestes am Berg küssend auf dem Zebrastreifen am Kreisel der Straße „Auf der Hohlmauer“, doch schon im nächsten Moment war Silke Thielsch verschwunden. So beschreiben es gestern weitere geladene Zeugen: Man sei auf den silbernen Mercedes im Kreisel aufmerksam geworden, da sich eine Person auf der Motorhaube befand, sei dabei aber zunächst von einem Scherz ausgegangen, bis die Person dann plötzlich nicht mehr zu sehen war und der Mercedes den Kreisel verließ. Dies deckt sich mit den Aussagen der Zeugen von vor zwei Wochen.
Doch wie bereits vor 14 Tagen versuchte die Verteidigung auch diesmal, viele Aussagen in Zweifel zu ziehen. Eine Zeugin berichtet beispielsweise zunächst von Bremslichtern am Mercedes, die sie gesehen haben will, ehe der Wagen wieder beschleunigt haben soll. Später berichtet sie, sie sei sich ganz sicher, dass der Wagen langsamer geworden sei und sie ging deswegen damals wohl von aufleuchtenden Bremslichtern aus.
Ein anderer Zeuge spricht von „quietschenden Reifen“, die er gehört haben will. Dies könnte auf ein starkes Beschleunigen des Mercedes schließen lassen. Nach dem Nachhaken der Verteidigung korrigiert sich der Zeuge jedoch, spricht von einem lauten, aus der Richtung des Autos kommenden Geräusch, ergänzt: „Ich habe Schreie aus dem Kreisel gehört, da geht im Kopf dann das Kino los.“
Ein dritter Zeuge berichtet, dass er dem den Kreisel verlassenden Mercedes hinterher rannte, da er zu diesem Zeitpunkt von Fahrerflucht ausgegangen sei. Der Wagen, der zunächst in gemäßigtem Tempo durch den Kreisel gefahren sei, habe zum Ausgang hin Tempo aufgenommen, so dass er trotz seiner damals sportlichen Konstitution nicht habe mitgehen können, so der Zeuge, der bei der polizeilichen Vernehmung vor siebeneinhalb Jahren die Geschwindigkeit des Mercedes auf 50 bis 60 Kilometer pro Stunde geschätzt hatte. Die Verteidigung merkte gestern an, dass selbst der schnellste Mann der Welt, Usain Bolt, nicht über eine Spitzengeschwindigkeit von 45 km/h käme. Eine befremdlich anmutende Bemerkung, die allerdings verdeutlichen soll: Der Mercedes könnte den Zeugen damals abgehängt haben, obwohl er den Kreisel wesentlich langsamer als mit 50 bis 60 km/h verließ.
Keine Schleifspuren am Kopf festgestellt
Ungeachtet der Geschwindigkeit des Fahrzeugs bekräftigt die Obduktion von Dr. Niess aufgrund von Schürfwunden am Rücken der Leiche von Silke Thielsch, dass diese in Rückenlage unter dem Mercedes mitgeschleift wurde. Am Kopf habe es jedoch keine vergleichbaren Spuren gegeben, was laut der Rechtsmedizinerin die Vermutung zulasse, dass Silke Thielsch zumindest einen Teil der Fahrt unterhalb des Autos noch bei Bewusstsein miterleben musste, ihren Kopf dabei eventuell hochhielt und so vor Verletzungen schützte.
Spuren an der Leiche, die eindeutig darauf hinweisen, dass Silke Thielsch von dem Mercedes überrollt wurde, ehe sie sich im vorderen rechten Radkasten verfing, habe es bei der Obduktion allerdings nicht gegeben. Dies spielt möglicherweise eine entscheidende Rolle bei der Frage, ob Hendrik R. wusste, dass sich die Frau unterhalb seines Autos befand, als er seine Fahrt fortsetzte. Eine einzelne gebrochene Rippe rechtsseitig sowie die gebrochene Speiche des rechten Unterarms deuteten aber nicht auf ein Überrollen, eher auf ein Abstützen auf der Motorhaube hin. Komplett ausschließen könne man ein Überrollen deswegen jedoch auch nicht, so Dr. Niess.
Das traurige Ende dieser tragischen Nacht ist jedoch bekannt, wird am Donnerstag vor der 22. großen Strafkammer erneut von Thomas Rieger zusammengefasst. Der damalige Gemeindebrandinspektor rückte mit den Feuerwehrkameraden zur Personenrettung aus, doch es kam anders. „Wir wurden vor Ort vom Notarzt informiert, dass die Patientin bereits verstorben sei“, erinnert sich Rieger. Geborgen werden konnte vor siebeneinhalb Jahren nur noch der Leichnam von Silke Thielsch.
Der Prozess wird am Donnerstag, 20. April, fortgesetzt.