Verteidiger hält Gutachter weiterhin für befangen

Thielsch-Prozess: Anwalt des Todesfahrers fordert neue Expertisen und stellt Haftprüfungs-Antrag.
Frankfurt/Kriftel -„Warum diese Frau, ich kriege das nicht gebacken!“ Auch acht Jahre nach dem schlimmen Unfall können Freund und Verwandte nicht fassen, auf welch’ grausame Weise die allseits beliebte Silke Thielsch am 6. September 2015 nach dem Besuch eines Obstfestes in Kriftel ums Leben kam. Und so sind sie auch gestern wieder ins Frankfurter Landgericht gekommen, um die Neuauflage des Prozesses gegen den Todesfahrer zu verfolgen, der die 41-Jährige auf dem Zebrastreifen „Auf der Hohlmauer“ am Kreisel mit seinem Mercedes angefahren und 400 Meter zu Tode geschleift hatte. Zu fünfeinhalb Jahren Freiheitsstrafe wegen vorsätzlicher Körperverletzung mit Todesfolge war Hendrik R. 2018 verurteilt worden, der Bundesgerichtshof hatte das Urteil aufgehoben, seit ein paar Monaten wird neu verhandelt.
Am 10. August dann der Paukenschlag durch die Kammer: Man ziehe eine Verurteilung wegen Mordes in Betracht, der damals 27-Jährige habe sich als Herr über Leben und Tod aufgespielt, er habe lebensgefährliche Verletzungen aus niederen Beweggründen billigend in Kauf genommen, aus Ungeduld und Ärger, dass das Unfallopfer und ihr Freund, die sich gerade umarmten und küssten, den Überweg nicht rechtzeitig geräumt hatten. Noch im Gerichtssaal war der inzwischen 35-Jährige festgenommen worden.
Gesicht verborgen hinter FFP2-Maske
Gestern kam er aus der Haft zu dem Prozess. Blicke zum Publikum vermeidet er, das Gesicht hinter einer FFP2-Maske verborgen tippt er auf einem Notebook mit, was besprochen wird. Während Freunde des Opfers die Wendung im Verfahren begrüßen - „So langsam sind wir da, wo wir hinwollen“ - sieht das für Verteidiger Thomas Scherzberg ganz anders aus. Mit einem Befangenheitsantrag stellte er gestern das Gutachten des Sachverständigen Paul-Christian Gerhard nach dessen Stellungnahme erneut in Frage und verlas entsprechende Argumente. So habe der Gutachter Zeugenaussagen nur dann verwendet, wenn es gegen seinen Mandanten gehe. Außerdem stellte der Verteidiger zwei Beweisanträge.
Zum einen solle man die beiden Polizeibeamten vorladen, die den im Auto sitzenden Freund damals vernommen hatten, und auch den Freund selbst. Dessen wiederholte Aussage, er habe keinen Ruck verspürt, nachdem das Unfallopfer unter den Mercedes gezogen worden war, habe die Kammer bei dem im Raum stehenden Mordvorwurf nicht berücksichtigt, sondern unterstelle dem Angeklagten, die Auf- und Abbewegung des Wagens bewusst ignoriert zu haben. Dabei hatte man sich auch auf das von Prof. Dr. Ansgar Klimke erstellte psychologische Gutachten bezogen, das den jungen Mann als impulsiv und egozentrisch bezeichnet hatte.
Hier setzt Verteidiger Scherzberg mit seinem dritten Antrag an. Fälschlicherweise sei der Gutachter davon ausgegangen, dass Hendrik R. lediglich fahrlässige Tötung vorgeworfen werde. Dass jetzt sogar Mord im Raum stehe, erfordere, so Scherzberg, eine neue Begutachtung. In diesem Sinne habe er dem Professor nach der Verhaftung seines Mandanten am 10. August auch gleich eine E-Mail zukommen lassen, deren Wortlaut er gestern verlas, genauso die Antwort des Experten. Der hatte geantwortet, dass bei Mordabsicht geprüft werden müsse, zu welchem Zeitpunkt der kurzen Todesfahrt sich der Angeklagte bewusst dazu entschieden habe und wie das zu seiner im Vorfeld nicht kriminellen Biografie passe.
Die Kammer entschied, dass alle Parteien nun Zeit bekommen sollen, sich mit den Anträgen zu beschäftigen. Weiter geht es am 13. September. Der Angeklagte bekam kurz Gelegenheit, mit seinem Vater zu sprechen, bevor es wieder ins Gefängnis ging. Gegen die U-Haft haben die Verteidiger allerdings eine Haftüberprüfung in die Wege geleitet.