„Rendezvous mit der Realität“

Die Freien Wohlfahrtsverbände sind nicht nur ein großer Arbeitgeber, sie motivieren auch Menschen, sich ehrenamtlich zu engagieren. Auch im MTK sind sie geschätzte Partner.
Das Sozialbüro Main-Taunus konnte sich gestern einmal mehr als Vorzeige-Einrichtung präsentieren. Wo gleich mehrere soziale Träger unter einem Dach Beratung für Menschen in allen möglichen Notlagen anbieten, wird besonders deutlich, dass es für den Staat lohnend ist, in diese Arbeit zu investieren. So sind etwa die Mitarbeiter der Ökumenischen Wohnhilfe bemüht, Obdachlosigkeit erst gar nicht entstehen zu lassen. Das macht nicht nur aus sozialen, sondern auch aus ökonomischen Gründen Sinn, wie gerade eine großangelegte „Sozialwirtschaftsstudie Hessen“ belegt hat. Im Auftrag der Liga der Freien Wohlfahrtspflege in Hessen wurde die Studie erstellt. Der Caritasverband nahm sie zum Anlass, im Rahmen der hessenweiten Aktionswoche unter dem Motto „Wir sind Gesellschaft“ Vertreter der Politik ins Sozialbüro einzuladen, um anschließend in einer Podiumsdiskussion über die wichtigsten Ergebnisse der Sozialwirtschaftsstudie ins Gespräch zu kommen.
Dr. Hejo Manderscheid, Direktor des Caritasverbands der Diözese Limburg, machte in seiner Einführung deutlich, dass die Wohlfahrtsverbände auch in wirtschaftlicher Hinsicht Gewicht haben in Hessen. Als Arbeitgeber beschäftigen sie 110 000 Menschen, das heißt, jeder 30. Arbeitsplatz in Hessen ist mit der Liga verbunden. Auch wenn dahinter viele verschiedene Arbeitgeber stünden, so gelte doch, dass man deutlich mehr Menschen beschäftige, als der Frankfurter Flughafen, so Manderscheid. Wichtiger noch sei aber, dass die Wohlfahrtsverbände 160 000 Ehrenamtliche motivierten, sich einzubringen. Die Fähigkeit, dieses zivile gesellschaftliche Engagement zu wecken, sorge für einen deutlichen Mehrwert.
Dass sich der Staat den sozialen Zusammenhalt etwas kosten lasse, belege die Studie außerdem, denn die Zahl der hauptamtlichen Mitarbeiter sei in den vergangenen Jahren in diesem Bereich stärker gewachsen (plus 15 Prozent) als in anderen Branchen. Dabei handele es sich um gut angelegtes Geld. Wenn der Staat hier einen Euro investiere, komme es am Ende zu einem Rückfluss von mehr als 6 Euro dank etwa gesparter Sozialleistungen. Johannes Baron, als Sozialdezernent des Main-Taunus-Kreises einer der Diskutanten in der von der Hörfunk-Journalistin Birgitta Söling moderierten Runde, bemängelte, diese Studie sei sicher interessant, treffe aber für ihn „noch nicht so richtig den Kern“ und sei ihm „ein bisschen zu klein gedacht.“ Die Arbeit der Wohlfahrtsverbände sei in Deutschland ganz besonders von der Erfahrung des Nationalsozialismus und seiner Menschenverachtung geprägt. Dass es nie wieder zu einer solchen Politik komme, dafür seien die Verbände vor allem wichtig. Dass es immer auch darum geht, die Politik auf Missstände und Fehlentwicklungen aufmerksam zu machen, darauf wies auch Stefan Gillich vom Diakonischen Werk hin.
Die Diskussion machte deutlich, dass die Vertreter der Kommunalpolitik die Wohlfahrtsverbände als Partner schätzen. So ist Hofheims Bürgermeisterin Gisela Stang sicher, dass aus der Zusammenarbeit mit freien Trägern unter anderem die Kinderbetreuung eine deutlich größere Vielfalt und damit eine weitaus größere Qualität erhalte, als wenn diese allein in der Regie des Staates wäre. Auch Bad Sodens Bürgermeister Norbert Altenkamp befand, es sei gut, „nicht allein zu stehen“ beim täglichen „Rendezvous mit der Realität“. Dass es künftig sicher noch mehr gelte, genau hinzuschauen, „wofür wird Geld ausgegeben“, ist Johannes Baron sicher. Die Bevölkerung im Kreis wachse und werde älter. Für Marcus Krüger, Koordinator des Sozialbüros, liegen die Probleme im MTK aktuell vor allem im Bereich der Bildung und Ausbildung, die nicht allen so zugänglich sei, dass sie Teilhabe ermögliche. So müsse auch 30-jährigen Zuwanderern noch eine Ausbildung ermöglicht werden, damit sie es schafften, nicht auf Dauer auf Sozialleistungen angewiesen zu sein. Baron sieht hier dagegen vor allem die Unternehmen gefragt. Staatliche Fördermaßnahmen allein reichten nicht. „Da muss auch mal was Neues geschehen.“