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Ihr Ruhepol im umtriebigen Leben

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Von: Manfred Becht

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Das Haus im Tudor-Stil war nur eine von vielen, aber sehr wichtige Station im Leben der Alice Rodewald-von Dieskau.

„Türmchen und Erker, sichtbares Fachwerk, reichlich Täfelung und monumentale Kamine, unsymmetrisch angeordnete Fenster, spitze Giebel, zahlreiche Schornsteine und schlanke Bogenkonstruktionen“ – das sind laut Katharina Schaaf typische Merkmale des Tudorstils, der sich im England des 19. Jahrhunderts einer großen Beliebtheit erfreute. Vieles davon ist aber auch am Schloss am Rettershof zu erkennen, in dem heute ein Hotel untergebracht ist.

Warum aber ein Tudorschlösschen am Rettershof? Das hat vor allem mit Alice von Dieskau zu tun, deren Vater das Schloss einst bauen ließ. Alice’ Lebensgeschichte hat die Frankfurter Autorin und Schauspielerin Katharina Schaaf in einem Aufsatz für das Main-Taunus-Jahrbuch nachgezeichnet – interessant aus lokaler Sicht sind natürlich die Jahre auf dem Rettershof. Wie nun kommt die Autorin dazu, sich um Alice von Dieskau zu kümmern? Schaaf arbeitet auch als Schauspielerin und spielt die erste Schlossbewohnerin in ihrem Salontheater am Originalschauplatz, unter anderem an deren Geburtstag am 19. April.

Für das Schloss am Rettershof ist ihr Vater Friedrich Rodewald verantwortlich. Der Bremer Kaufmannssohn wanderte im Alter von 20 Jahren 1828 nach Amerika aus und lebte zunächst in New Orleans, wo Alice geboren wurde. Rodewald widmete sich dem Baumwollhandel, aber als der unter dem heranziehenden Bürgerkrieg zu leiden begann, zog die Familie ins englische Wimbledon um. Rodewald widmete sich dort erfolgreich Bankgeschäften, hatte privat aber weniger Glück – seine Ehefrau starb im Alter von nur 42 Jahren.

Die Jahre, die die Familie in Wimbledon verlebte, sind wichtig für die weitere Entwicklung – man kann vermuten, dass Rodewald dort den Tudorstil kennen und schätzen lernte, den er später am Rettershof zu kopieren gedachte. Außerdem starb in England seine Ehefrau und Mutter, was Vater und Tochter noch näher zusammen brachte. Er ließ es ihr und ihrer Schwester sowie ihrem Bruder an nichts fehlen. In Wimbledon lernt Alice ihren ersten Ehemann Ulrich von Dieskau kennen, der Verbindungen nach Hessen hat – die nächsten Jahre verdingt das Paar in Wiesbaden und Darmstadt, dort kommen vier Kinder zur Welt.

1884 kauft Friedrich Rodewald den Kelkheimer Rettershof – Schaaf vermutet dahinter die Absicht, sich einen Alterssitz zuzulegen, an dem er seinen Lebensabend mit Tochter und Enkeln verleben könnte. Etwa 1885 beginnt er mit dem Bau des Tudorschlösschens – wohl auch, um das Heimweh seiner Tochter nach Wimbledon zu mildern und sie über den Tod ihres zweiten Ehemannes hinwegzutrösten. Die Autorin lässt erkennen, dass sie in vielen Dingen auf Vermutungen angewiesen war, denn Aufzeichnungen oder Briefe aus der Familie selbst liegen als Quellen nicht vor.

Im Alter von 31 Jahren zog Alice von Diskau mit ihrem Vater am Rettershof ein, um dort – kaum ist das Trauerjahr abgelaufen – zum dritten Mal ein Mitglied der Familie von Dieskau zu heiraten – Leopold Dieskau nämlich, den jüngeren Bruder ihres zweiten Ehemannes Oskar. Diese Ehe ist von Dauer, bis nach der Jahrhundertwende bleibt das Paar auf dem Rettershof. Auch aus dieser Beziehung gehen mehrere Kinder hervor, aber unbeschwerte Jahre sind es nicht. Am 4. Oktober 1886 stirbt Friedrich Rodewald, Erbauer des Schlosses Rettershof, ebendort. Offensichtlich hat das große Hofgut die Möglichkeiten der Familie über Gebühr in Anspruch genommen, Anfang des 20. Jahrhunderts geben Alice und Leopold von Dieskau den Rettershof auf und lassen sich in Königstein nieder. Gestorben ist Alice 1923 in Neapel, wie Schaaf schreibt, entsprechend ihrer zeitlebens gepflegten Reiselust. Den Rettershof nennt die Autorin „einen der wenigen Ruhepole in ihrem sonst so umtriebigen Leben“.

Das Jahrbuch kostet 7 Euro und ist im Landratsamt, in den Buchhandlungen und Rathäusern im Kreis erhältlich.

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