Mieterschutzverein Frankfurt: Die Mietpreisbremse funktioniert nicht

Vor 110 Jahren gründeten zehn Bürger den Mieterschutzverein Frankfurt. Sie wollten in der Stadt ein Gegengewicht schaffen zu den bereits gut organisierten Hausbesitzern. Unser Reporter Andreas Haupt sprach mit Mieterschutzverein-Geschäftsführer Rolf Janßen über die Folgen steigender Mieten in Frankfurt.
Waren die Probleme bei der Gründung des Mieterschutzvereins vor 110 Jahren die gleichen wie heute?
ROLF JANSSEN: Damals war die Situation in noch wesentlich schlimmer. Die Wohnungsnot hatte eine ganz andere Dimension. Viele Wohnungen waren in einem desolaten Zustand, das findet man heute nur in Ausnahmefällen. Die Vermieter waren damals schon gut organisiert. Gegründet wurde der Mieterschutzverein von zehn Bürgern. Er startete mit 30 Mitgliedern, aber im Laufe der Jahre wurde daraus eine machtvolle Organisation.
Wie war das Mietrecht entwickelt?
JANSSEN: Es gab einzelne Entscheidungen, aber es steckte noch in den Kinderschuhen. Bei Gericht spielte es eine untergeordnete Rolle. Anders als heute, wo diese Fälle dort sehr stark vertreten sind.
Gab es Kündigungsschutz?
JANSSEN: Was wir heute darunter verstehen, gibt es erst seit den 1970er Jahren – und auch damals bei weitem nicht so ausgeprägt wie heute. Der Ausbau des Mietrechts war auch eine Reaktion auf die Auswirkungen des Zweiten Weltkriegs, in dem Millionen von Menschen ihre Wohnung verloren.
Ist der Mieterschutzverein kontinuierlich gewachsen?
JANSSEN: Am Anfang war er relativ klein. Aber 1923 zählte er schon 10 000 Mitglieder.
In einer wesentlich kleineren Stadt als heute…
JANSSEN: Ja, so gesehen war er recht groß. Da im Zweiten Weltkrieg die Geschäftsstelle zerstört wurde, baute der Verein 1947 eine neue auf. In jener Zeit wurden auch der Landes- und Bundesverband gegründet. Bis 1951 hatten wir wieder 1300 Mitglieder. Der richtige Boom begann um 1980. Bis 1996 verdoppelten sich die Mitgliederzahlen von 10 000 auf 20 000. Auch damals war es für viele Menschen schwer, bezahlbaren Wohnraum zu finden. Heute kommt hinzu, dass dieses Problem immer mehr Menschen bis weit in die Mittelschicht hinein betrifft.
Können Sie dabei helfen? Etwa wenn Mieter in Zahlungsschwierigkeiten geraten?
JANSSEN: Wenn eine fristlose Kündigung droht, sagen wir dem Mieter, dass er natürlich seine Miete zahlen muss. Zu helfen versuchen wir etwa, indem wir mit dem Vermieter Ratenzahlung vereinbaren.
Funktioniert das normalerweise?
JANSSEN: In vielen Fällen haben wir dabei Erfolg. 97 Prozent der Fälle, in denen wir beraten, werden außergerichtlich geklärt. Daran sehen wir auch, dass das Einschalten des Mieterschutzvereins hilft.
Würden Sie sagen, deutsche Mieter sind gut geschützt?
JANSSEN: Im Vergleich zu andern Ländern, ja. In den letzten Jahren erleben wir aber eine Tendenz der Rechtsprechung, Mieterrechte zu beschränken. Insbesondere beim Kündigungsschutz und den Nebenkostenabrechnungen. Nur bei den Schönheitsreparaturen ist die Entwicklung mieterfreundlich. Das Thema kommt vor allem bei Auszug auf, weil es dann darum geht, in welchem Zustand der Mieter die Wohnung zurückgibt.
Und wie ist das bei den Nebenkosten?
JANSSEN: Viele Einwendungen bei den Nebenkosten, die wir vor Jahren noch erheben konnten, hat die Rechtsprechung gekippt. Heute verlangen die Gerichte regelmäßig, dass Mieter die Belege für die Nebenkostenabrechnung beim Vermieter einsehen oder Kopien anfordern müssen, was eine sehr hohe Hürde ist. Und wie soll er wissen, welche Belege relevant sind?
Sie sehen das Problem eher bei den Gerichten als bei dem Gesetzgeber?
JANSSEN: Ja, die gesetzlichen Regeln zu den Nebenkosten sind überschaubar. Das Mietrecht ist stark durch die Rechtsprechung geregelt – und die ist einem stetigen Wandel unterworfen.
Wo in Frankfurt wohnt man eigentlich am günstigsten?
JANSSEN: In Frankfurt gibt es für Mieter keine Oasen der Glückseligkeit. Es gibt keine Stadtteile, über die man sagen kann: Ziehen Sie dorthin, da ist es noch billig. Vielleicht ist es dort in einzelnen Lagen etwas preisgünstiger als in der Innenstadt. Aber Mieter haben in ganz Frankfurt große Schwierigkeiten, preiswerte Wohnungen zu finden.
Gibt es Unterschiede zwischen Wohnungsbaugesellschaften und privaten Vermietern?
JANSSEN: Ja, die gibt es. Große Gesellschaften wie die ABG Holding vermieten zwar Neubauten nicht nach Mietspiegelpreisen, sind aber doch etwas günstiger als andere Gesellschaften und als private Vermieter sowieso. Aber auch bei städtischen Gesellschaften zahlt man bei einer Neuvermietung zwölf, 13 Euro pro Quadratmeter. Bei Bestandswohnungen haben wir in der Regel den Mietspiegelpreis. Privatvermieter nehmen in der Regel mehr. Auch weil die Mietpreisbremse in Frankfurt nicht funktioniert, haben wir oft explodierende Mietpreise.
Die Mietpreisbremse funktioniert nicht?
JANSSEN: Sie ist nicht praxistauglich. Eigentlich darf bei einer Wiedervermietung der Vermieter nicht mehr als zehn Prozent über der ortsüblichen Vergleichsmiete liegen. Es gibt aber Ausnahmen. So kann er mehr nehmen, wenn der vorherige Mieter bereits mehr gezahlt hat. Wer eine Wohnung mietet, müsste fragen: Was hat mein Vorgänger gezahlt? Das machen die meisten aber nicht.
Das kann man also gar nicht kontrollieren?
JANSSEN: Dies zu kontrollieren ist schwer. Wir dachten, nun lassen ganz viele ihre Miete überprüfen – doch wir hatten nur einen einzigen Fall.
Haben Sie den Eindruck, dass den Vermietern die Mietpreisbremse völlig egal ist?
JANSSEN: Ein Vermieter wird ja nicht bestraft, wenn er die Mietpreisbremse nicht einhält. Sollte sich später herausstellen, dass er zu viel verlangt, müsste er das zu viel Gezahlte erst ab dem Zeitpunkt zurückzahlen, ab dem der Mieter die zu hohe Miete gerügt hat. Also kann er einfach abwarten, was passiert.
Ist die Miethöhe das Hauptproblem, wenn die Menschen Sie um Hilfe bitten?
JANSSEN: Ja. Fast die Hälfte der Frankfurter hat ein Haushaltseinkommen von 2000 Euro Netto oder weniger. Für eine 100 Quadratmeter-Wohnung zahlt man inklusive Nebenkosten leicht 1500 Euro. Dazu benötigt der Mieter ein Netto-Haushaltseinkommen von 4000 bis 5000 Euro. Aber das wichtigste Beratungsthema sind die Nebenkosten, auf die sich über 30 Prozent unserer Beratungsfälle beziehen. Nicht zu Unrecht werden sie oft als zweite Miete bezeichnet. Nur selten wirft eine Nebenkostenabrechnung keine Fragen auf. Was nicht heißt, dass sie falsch wäre, aber sie ist nicht verständlich. Eine Nebenkostenabrechnung sollte auch ein Mieter, der sich nicht täglich mit Mietrecht auseinandersetzt, verstehen.