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85. Jahrestag der Reichspogromnacht - »Wir stehen an der Seite Israels«

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In Nidda ist es Tradition, dass die Zusammenkunft vor dem Mahnmal mit den Namen der deportierten und ermordeten Niddaer Bürger jüdischen Glaubens von Jugendlichen mitgestaltet wird. © Elfriede Maresch

Mit einem israelischen Friedenslied eröffnen Konfirmanden aus Nidda, Bad Salzhausen und Geiß-Nidda die Gedenkstunde zum 85. Jahrestag der Reichspogromnacht in Nidda. Die Texte, die sie vortragen, fügen sich zu einem eindrucksvollen Mosaik zusammen.

In Nidda ist es Tradition, dass die Gedenkstunde zum Jahrestag der Reichspogromnacht mit der Zusammenkunft vor dem Mahnmal mit den Namen der deportierten und ermordeten Niddaer Bürger jüdischen Glaubens von Jugendlichen mitgestaltet wird.

Pfarrerin Hanne Allmansberger und Pfarrer Alexander Starck, die den Konfirmandenunterricht gemeinsam erteilen, legten Wert auf eine gute Vorbereitung. Die Teenager wollten selbstständig vorgehen. Das Angebot, Texte früherer Konfirmanden zu nutzen, lehnten sie ab: »Wir machen das selbst!« So gab es für die Gruppe eine Einheit über Alltags- und religiöses Leben im Judentum, über die Thora als heiliges Buch, über die Verbindung zum Christentum durch das Alte Testament und über Jesus als Juden.

Besuch im Jüdischen Museum

Ein Besuch im Jüdischen Museum mit einer Führung durch Leiterin Hildegard Schiebe machte das jahrhundertelange Zusammenleben von jüdischen und christlichen Niddaern in guter Nachbarschaft deutlich. Das Museum hat eigenständiges Info-Material entwickelt, zum Beispiel einen interaktiven Plan der Großgemeinde, der jüdische Gedenkorte - Synagoge, Wohnungen, Geschäfte - aufzeigt. Über einen Link ist der Plan allgemein zugänglich.

Auch die Fragen, ob heute Juden in Nidda leben und ob sie die zehn erforderlichen Männer für einen Minjan, einen regulären Gottesdienst, zusammenbringen könnten, beschäftigten die Gruppe - und mussten verneint werden. In einem Samstagsworkshop wurde Material für die Gedenkstunde zusammengetragen: Gedichte, Texte, historische Informationen, Symbolgegenstände, Abschnitte der viel beachteten Rede von Bundeswirtschaftsminister Habeck und vieles mehr.

An das Mahnmal brachten die Jugendlichen eine Laterne mit Friedenskerze mit. Sie brannte schon, als Bürgermeister Thorsten Eberhard (CDU) die Gedenkstunde offiziell eröffnete und zahlreiche Teilnehmer begrüßte, unter ihnen Mitglieder der städtischen Gremien, der Kirchengemeinden und von Vereinen. Er dankte allen, die die Gedenkstunde mitgestalteten. »Habt ihr daraus nichts gelernt?« - der Bürgermeister stellte den Song »Nur ein Lied« in den Mittelpunkt seiner Ansprache, den der Singer-Songwriter Alex Diehl nach den Terroranschlägen von Paris im November 2015 geschrieben hatte. »85 Jahre nach dem Beginn des Holocaust müssen Juden wieder um ihr Leben fürchten, sind auch in Deutschland Anfeindungen ausgesetzt«, sagte der Bürgermeister und schloss: »Wir zeigen heute, 85 Jahre nach der Reichspogromnacht, dass wir nicht vergessen haben und an der Seite Israels stehen.«

Gang durch die Stadtgeschichte

Die Texte, die die Konfirmanden zusammengestellt hatten und vortrugen, fügten sich zu einem eindrucksvollen Mosaik zusammen. Es waren Abschnitte des Stuttgarter Schuldbekenntnisses von 1945, ein erzählerischer Text von Ruth Rosenfeld über spielende Kinder, von denen eines in die Außenseiterrolle gedrängt wird, und ein Gang durch die Stadtgeschichte. Von der freundlichen Beteiligung der städtischen Gemeinschaft an der Synagogeneinweihung 1877 über erste wirtschaftliche Boykotte ab 1933 und die Reichspogromnacht mit Übergriffen bis zur körperlichen Hetze 1939, die für Emanuel Eckstein tödlich endete, und der Deportation jüdischer Niddaer in die Vernichtungslager - im Telegrammstil gelang den Jugendlichen eine Skizze, wie Menschen mehr und mehr aus der bürgerlichen Gemeinschaft ausgeschlossen und schließlich ermordet wurden.

Dagegengestellt wurden Paragraf 1 des Grundgesetzes, »Die Würde des Menschen ist unantastbar«, und die Aufforderung zum Widerstand gegen Ausgrenzung, Rassismus und Gewalt. Nach Zitaten aus der Habeck-Rede folgten bedrückende Gedichtsabschnitte, etwa »Der letzte Schmetterling« von Pavel Friedmann, der das Elend der Deportierten und Eingepferchten schilderte: »Der letzte seiner Art - Schmetterlinge leben nicht hier, im Ghetto.«

Der Bürgermeister und die Stadtverordnete Christine Jäger (SPD) legten Blumen am Mahnmal nieder. Nacheinander nannten die Konfirmandinnen und Konfirmanden die Namen der ermordeten Niddaer Familien und legten nach jedem Namen einen Stein nieder - ein jüdischer Brauch, der die Verbindung zu den Toten aufzeigt und sie ehrt. Hanne Allmansberger und Alexander Starck betonten am Ende: »Die Jugendlichen waren schon bei der Vorbereitung ernsthaft und einfühlend bei der Sache. Es war keine Pflichtübung, sondern sie haben verstanden, warum wir uns erinnern und Verantwortung übernehmen.« VON ELFRIEDE MARESCH

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