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90-Jähriger pilgert aus Dankbarkeit

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Mit Schirm, Charme und Handwagen: Johann Jotzo auf dem Lutherweg bei Wöllstadt. © Johannes Weil

Johann Jotzo hat viele Gründe, für die er Gott dankbar sein kann. Das spornt den 90-Jährigen immer wieder zu ungewöhnlichen Aktionen an. Gerade absolviert er den 400 Kilometer langen Lutherweg zu Fuß.

Es ist 7.30 Uhr in Nieder-Wöllstadt. Die Gemeinde liegt an der Route des 400 Kilometer langen Lutherweges. Hier ist der Reformator 1521 von Worms auf die Wartburg nach Eisenach gegangen. An diesem warmen Morgen machen sich zwei Wanderer auf den Weg zu ihrer nächsten Etappe. Einer von ihnen ist Johann Jotzo: 90 Jahre alt - und kein bisschen müde.

Für ihn und seinen Begleiter, den 63-jährigen Uwe Redmer, ist es die neunte von 23 Etappen des Lutherwegs. Die Geschichten, die Jotzo auf dem Pilgerweg erzählt, könnten Bücher füllen.

Dabei zieht sich ein roter Faden durch alle Höhen und Tiefen: Er weiß sich von Gott begleitet und ist dafür dankbar. Das treibt ihn an, sich auf den Weg zu machen. In diesem Jahr hat er seinen 90. Geburtstag gefeiert. Seine Frau, mit der er bald 65 Jahre verheiratet ist, wurde 85.

Der Christliche Verein junger Menschen (CVJM) ist ein weiterer wichtiger Baustein seines Lebens. Auf dem Weg durch die Wetterau erzählt Jotzo von seiner behüteten Kindheit auf einem Bauernhof in Ostpreußen. 1945 kommt es zum ersten einschneidenden Erlebnis. Die Familie muss mit einem Handwagen vor der russischen Armee nach Mecklenburg fliehen. 1952 geht es in den Westen. Jotzo beginnt eine Ausbildung zum Landarbeiter in der Pfalz und er beginnt, sich in der christlichen Jugendarbeit zu engagieren. Er gründet Gruppen und Kreise für Kinder und Jugendliche. An drei Orten, an denen er im Laufe seines Lebens wohnt, entstand eine lebendige CVJM-Arbeit, in der Jotzo oft der Motor war.

Mit klappbarem Sitzstock

Auf seiner Wanderung legt er Pausen ein und lässt den Blick über die weiten Felder in Richtung Taunus schweifen. Er solle dies tun, habe ihm seine Familie aufgetragen. Redmer achtet darauf, dass er seine Pausen einhält. Dann holt Jotzo seinen klappbaren Sitzstock heraus, trinkt etwas und schöpft neue Kraft. Für einen 90-Jährigen findet er schnell wieder seinen Rhythmus.

Es ist aber nicht alles eitel Sonnenschein in der Biografie Jotzos. Das erste Kind der Eheleute kommt tot zur Welt. Jotzo selbst hat gesundheitliche Rückschläge zu verkraften. Dreimal hatte er Lähmungen im ganzen Körper. Das führt auch dazu, dass er auf Sport und Bewegung angewiesen ist.

Er trägt deswegen bei seiner Wanderung keinen Rucksack, sondern zieht einen kleinen Wagen hinter sich her, in dem Sonnenschirm, Trinkflasche und Medikamente verstaut sind. Und natürlich das Pilgerheft, an dem sie sich an bestimmten Standorten einen Stempel holen.

Den Koffer mit seinen Klamotten fährt ihm die Enkeltochter von Ort zu Ort. Sie begleitet dessen Reise auch über Instagram. Jotzo zeichnet ein eiserner Wille aus, eine gehörige Portion Humor - etliche seiner Geschichten beendet er mit einem verschmitzten Lächeln und das Vertrauen darauf, dass Gott sein Leben geführt hat: »Ich bin Gott dankbar für diese Kraft und mein langes Leben. Immer wieder habe ich seinen Segen gespürt.« Mit seiner Wanderung möchte er Unterstützer für den »wichtigen Dienst an jungen Menschen« finden.

»Ich habe eine wunderbare Frau und vier gesunde Kinder, acht Enkel und zwei Urenkel. Wenn das kein Grund ist, dankbar zu sein«, sagt Jotzo, der sich für literarische Balladen begeistern kann. Kurz vor Dorheim rezitiert er Schillers Bürgschaft. »Es ist interessant, wie viel biblische Botschaft auch in diesen Balladen steckt«, findet er auch hier wieder einen Vergleich zu dem, was sein Leben prägte.

Jotzo grinst verschmitzt, als er das letzte Stück der 14 Kilometer langen Tagesetappe in Angriff nimmt. Respekt hat er vor den bis zu 25 Kilometer langen Etappen, die in den nächsten Tagen anstehen. Aber er ist auch zuversichtlich, dass am 6. Juli ein 90-Jähriger den Lutherweg von Worms bis Eisenach geschafft hat. FOTO: WEIL

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