Abwarten macht keinen Sinn mehr

Schotten (sw). »Informationen aus erster Hand«, so hat es Berndt Ott, der Vorsitzende des Fördervereins Vogelsbergluchs, in der Ankündigung versprochen. Mit Ole Anders hat der 2016 gegründete Verein kürzlich einen ausgesprochenen Experten in Sachen der kleinen Raubkatze nach Schotten eingeladen.
Anders, der seit über 20 Jahren das erfolgreiche Luchsprojekt im Harz leitet, berichtete in einer Vortragsveranstaltung in der Mehrzweckhalle des Forstamtes über seine Erfahrungen und gab Hinweise zu einer möglichen Rückkehr des Luchses auch in den Vogelsberg. Zu Beginn des 19. Jahrhunderts wurde der Luchs im Harz ausgerottet. Es war die damals auch in anderen Regionen Mitteleuropas gängige Methode, die Nutztiere vor dem Beutegreifer zu schützen.
Nutztiere seltener auf dem Speiseplan
Nach langen Vorplanungen wurden im Rahmen eines Wiederansiedlungsprojektes, das von drei Jägern initiiert wurde, zwischen 2000 und 2006 insgesamt 24 männliche und weibliche Luchse aus Zoos und Wildparks im Harz ausgewildert. Ein gutes Jahrzehnt später konnten Ole Anders und seine Mitarbeiter anhand eines komplexen und aufwendigen Monotorings mit Fotofallen und einer computergestützten Auswertung für das rund 2320 Quadratkilometer große Harzgebiet 90 Luchse ausweisen, davon geschätzt etwa 35 Jungtiere.
Der Nachwuchs bleibt im ersten Lebensjahr zunächst im Streifgebiet der Mutter, bevor die Jungtiere sich ein eigenes Territorium suchen, erklärte der Referent. Der Kot der Luchse ist eine wichtige Quelle, um das Fressverhalten festzustellen. »Die Untersuchung der gefundenen Losungen liefert wertvolle Hinweise«, betonte Anders. In dem nördlichsten Mittelgebirgen Deutschlands gehören Rehe und Rothirschkälber zu den beiden wichtigsten Nahrungsquellen der Luchse. Nutztiere wie Schafe oder Ziegen stehen dagegen nur selten auf dem Speiseplan. »Das passiert im moderaten Rahmen«, betonte der Referent. Auch deswegen, weil der Luchs gerne die Deckung des geschützten Waldes suche und sich weniger auf offenen Flächen aufhalte.
Häufigstes Problem für den Fortbestand der Populationen in Deutschland und Westeuropa sei die Inzucht. »Es fehlt der für die Fortpflanzung wichtige Austausch von Genen.« In anderen Regionen seien schon dramatische Verkrüppelungen junger Luchse festgestellt worden, die keine Lebensperspektive hätten. Anders fand klare Worte. »Es gibt eine massive Inzuchtproblematik.« Die Reproduktion verlaufe beim Luchs sehr träge. »Das ist ein insgesamt sehr langsamer Prozess.« Manchmal komme noch die Räude dazu. Ganz anders bei den Wölfen, die inzwischen weitverbreitet seien. Der Experte ist sicher: »Abwarten macht jetzt keinen Sinn mehr. Wenn Luchse stabil und dauerhaft in unseren Regionen leben und damit zur Artenvielfalt beitragen sollen, müssen zielgerichtete Maßnahmen ergriffen werden.«
Noch weit bis zur Wiederansiedlung
Erfreulicherweise gebe es Initiativen für Wiederansiedlungsprojekte in mehreren Bundesländern wie in Baden-Württemberg, Bayern und Thüringen. Um junge Luchse, die gut ausgewildert werden könnten, kümmerten sich der Verband zahlreicher Europäischer Zoos und der Deutsche Wildhegeverband.
Von Wiederansiedlung sei man in Hessen noch weit entfernt, meinte Fördervereinsvorsitzender Ott am Rande der Veranstaltung. Interessant werde sein, welche Haltung die neue Landesregierung dazu einnehmen werde. Die bedeutendsten Luchsvorkommen in Deutschland gibt es neben dem Harz noch im Bayerischen Wald und im Pfälzer Wald, wie der Referent weiter informierte. Zwischen den Populationen gibt es allerdings keine Verbindungen, was der genetischen Vielfalt abträglich und damit hemmend für eine kontinuierliche Ausbreitung des Luchses ist.
Einen ganz kleinen Hoffnungsschimmer erwähnte Anders für die Schottener Luchsfreunde. »Der Vogelsberg kann durchaus Wanderungsziel für einen Harzluchs sein.« Luchssichtungen hatte es in den vergangenen Jahren im Vulkangebirge zwar schon gegeben, aber daraus hat sich keine dauerhafte Population entwickelt. Der Vogelsberg sei für Weibchen aus dem Harz zu weit weg, mit männlichen Tieren könne eher gerechnet werden, meinte Anders.
Einzelne Vertreter hätten es schon in die Oberlaussitz, das Fichtelgebirge, den Pfälzer Wald und auch nach Nordhessen geschafft. Allerdings seien sie auf der Wanderschaft größeren Gefahren und Hindernissen ausgesetzt: vor allem Straßen mit ihrer landschaftszerschneidenden Wirkung und offenen Landschaften.