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Als Quereinsteiger: Mit 42 Jahren wird Tobias Vonderlehr endlich Pfarrer

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Gehen alle Wege gemeinsam: Vikar Tobias (links) und sein Mann Nik Vonderlehr. Seit einiger Zeit gehört auch Hündchen Romeo dazu. © pv

Pfarrer wollte Tobias Vonderlehr schon als Junge werden. Seit dem 1. September ist der gebürtige Vonhausener Vikar in der evangelischen Kirchengemeinde Gedern. Und das als Quereinsteiger.

Gedern (red). Pfarrer wollte Tobias Vonderlehr schon als Junge werden. Jetzt, mit 42 Jahren, ist er seinem Ziel endlich ganz nah. Seit dem 1. September ist der gebürtige Vonhausener Vikar in der evangelischen Kirchengemeinde Gedern. Das heißt, einen Masterabschluss im Studiengang »Evangelisch-Theologische Studien« hat er bereits, jetzt absolviert er seine praktische Ausbildung bei Pfarrerin Kerstin Hillgärtner. »Wunderbar« sei er aufgenommen worden, sowohl von seiner Lehrpfarrerin als auch von der Gemeinde, berichtet Vonderlehr.

Zum Gespräch in einem Café hat er seinen Mann Nik mitgebracht. Denn dass Tobias Vonderlehr nun doch noch seinen »Traum leben« kann, wäre ohne die Unterstützung seines Partners kaum möglich. Gemeinsam haben die beiden über Jahre eine pädagogische Praxis, das »Lern- und Förderzentrum Stressfrei« in Büdingen, aufgebaut und erfolgreich betrieben. Die Verantwortung dafür trägt Nik nun allein. Auch finanzielle Einbußen gehen mit Tobias’ Ausbildung zum Pfarrer einher. Ihr Trauspruch »Wo du hingehst, da will auch ich hingehen« sei eben keine Worthülse, sondern ein Versprechen, bekräftigt Nik Vonderlehr.

Kompromisse ziehen sich wie ein roter Faden durch das gemeinsame Leben der beiden. 2004 haben sie sich kennengelernt, ein Jahr später zogen sie zusammen und 2008 gingen sie eine eingetragene Lebenspartnerschaft ein. »Ein grässliches Wort«, sagen sie wie aus einem Mund. Ihre kirchliche Segnung erforderte eine Fülle von Zugeständnissen: kein Ringtausch in der Kirche, sie durften nicht in der Mitte des Gotteshauses sitzen und für ihren Trauspruch mussten sie kämpfen.

Weiter Weg bis zum Vikariat

Noch heute empfinden sie darüber Trauer. »Wir tauchen mit unserer Segnung nicht in den Kirchenbüchern auf«, bedauert Tobias Vonderlehr. Dieser Eintrag ist erst möglich, seit die Kirchensynode Ende 2018 die Segnung gleichgeschlechtlicher Paare in Trauung umbenannt hat.

Im April dieses Jahres hat die Synode der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau (EKHN) ein Schuldbekenntnis gegenüber queeren Menschen ausgesprochen und um Vergebung gebeten. Menschen seien »durch Taten und Worte ausgegrenzt, verletzt, geängstigt und manchmal mundtot gemacht« worden, heißt es darin. Und weiter: »Homosexualität, Bisexualität, Trans- und Intersexualität, non-binäre und queere Lebensformen sind ein Teil der Schöpfung.«

Als Paar sind Tobias und Nik Vonderlehr darin geübt, Rücksicht zu nehmen. Berührungen oder Umarmungen in der Öffentlichkeit sind tabu. »Man will halt niemanden provozieren«, erklärt Tobias Vonderlehr und lässt erahnen, dass Widersprüche und Verletzungen noch immer zum Alltag nicht heterosexueller Menschen gehören. Gleichwohl bekräftigt er, in Gedern keine negativen Erfahrungen gemacht zu haben. Im Gegenteil, sie seien höchst willkommen. So oft es geht, begleitet Nik Vonderlehr seinen Mann zu Gottesdiensten und verhehlt nicht den Stolz auf das Geleistete.

Denn bis zum Vikariat war es ein weiter Weg. Nach dem Zivildienst nahm Tobias Vonderlehr zunächst ein Lehramtsstudium auf und wechselte später zur Theologie. Parallel gründete er eine Nachhilfeschule. Als diese immer mehr Zeit erforderte, wechselte er abermals das Fach und schloss an der Fernuniversität Hagen ein Studium der Bildungswissenschaften ab. Parallel dazu wuchs die Nachhilfeschule zu einer pädagogischen Praxis heran, die heute Kinder und Jugendliche vom ersten Schuljahr bis zum Abitur sowie Erwachsene fördert.

Unterstützung durch Dekanin

2020 las Vonderlehr vom »Main Master«, einem berufsbegleitenden Masterstudiengang, der Quereinsteigern den Weg ins Vikariat und ins Pfarramt einer Landeskirche ebnet. Das war es! Eine Möglichkeit, den Faden aufzunehmen und den Weg dieses Mal bis zum Ende zu gehen. Nach sechs Semestern gab er im Mai seine Masterarbeit ab und hoffte inständig, sein Vikariat wohnortnah absolvieren zu können. Denn daheim ist nicht nur die Praxis, dort leben auch die pflegebedürftigen Schwiegereltern. Unmöglich. »Das war eine bange Zeit«, erinnert er sich. »Wir haben uns oft gefragt, ob die Kirche Rücksicht auf unsere Lebenssituation nehmen wird.« Das sei nicht selbstverständlich.

Mit der Unterstützung von Dekanin Birgit Hamrich ist es gelungen, ihn im Büdinger Land zu halten. Pfarrerin Hillgärtner nahm den »Schüler« mit offenen Armen auf. Tobias Vonderlehr freut sich auf die Gemeindearbeit. Besonders die Seelsorge liegt ihm am Herzen. Das obligatorische Gemeindeprojekt, das zur Ausbildung gehört, hat er bereits gestartet. Die Kirchengemeinde Gedern hat seit einigen Tagen einen Instagram-Account: ev.kirche.gedern.

»Main Master« ist ein berufsbegleitender Weiterbildungsstudiengang für Akademiker im Bereich Evangelische Theologie, der in Kooperation der Goethe-Universität in Frankfurt mit der Johannes Gutenberg-Universität in Mainz angeboten wird und der einen Quereinstieg ins Pfarramt ermöglicht. Das arbeitsintensive Studium dauert drei Jahre, der Abschluss befähigt auch dazu, sich andere theologische Arbeitsfelder zu erschließen. Die Evangelische Kirche in Hessen und Nassau (EKHN) hat die Einrichtung dieses Studiengangs finanziell gefördert, um theologisch interessierten Menschen einen Einstieg in den Pfarrberuf durch zusätzliche Angebote zu ermöglichen.

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