Kirmes im Blut - Lena Roie ist ein Gesicht hinter der Schaustellerei

Für die traditionsreiche Schaustellerfamilie Roie bedeutet »etwas Gescheites« natürlich Kirmes. Die Altenstädterin Lena Roie zieht es aber in die Hotellerie. Bis zu einem besonderen Schlüsselerlebnis.
Mein Opa hat mir erzählt, dass früher die Wäsche von der Wäscheleine abgehängt wurde, weil man Angst hatte, dass Schausteller einen bestehlen«, sagt Lena Roie aus Altenstadt.
Sie selbst bekam vor einigen Jahren in Bewerbungsgesprächen komische Blicke zugeworfen, wenn sie erwähnte, aus einer Schaustellerfamilie zu kommen. Auffällig oft habe es dann eine Absage gegeben. Auch die Bank empfange einen als Schausteller nicht gerade mit offenen Armen. Dazu komme noch das Gerede der Leute.
Vor einigen Jahren organisiert Roie eine Veranstaltungsreihe mit verschiedenen Ständen: »Dann wurde gesagt, dass sieht zu Dippemess-mäßig aus. Aber nicht im schönen Sinne. Und das finde ich einfach nicht richtig.« Weil Schausteller häufig unter sich blieben, gebe es viele Vorurteile, sagt Lena Roie. Dabei stecke viel mehr Arbeit und Können hinter der Schaustellerei, als es von außen den Anschein mache.
»Mein Vater ist in siebter Generation Schausteller und meine Mutter in zwölfter.«
In ihrer eigenen Familie hat über viele Generationen und mehr als 100 Jahre hinweg niemand etwas anderes gemacht. »Mein Vater ist in siebter Generation Schausteller und meine Mutter in zwölfter.« Auch ihre Brüder Tim und Peter sind Schausteller.
Sie selbst ist die Erste, die nach der Schule etwas anderes gemacht hat. Lena Roie absolvierte erst eine dreijährige Hotelfachausbildung und bildete sich im Anschluss in den USA zur Hotelmanagerin weiter. Ihre Familie unterstützte sie bei ihrer Entscheidung. »Ich hatte da wirklich die Freiheit, so ein bisschen meinen Dickkopf auszuleben.«
Drei Wochen vor dem Abschluss besuchten ihre Freunde in Miami ein Volksfest. »Das wollte ich mir auch unbedingt mal anschauen. Das war riesengroß.« Als Lena Roie über den belebten Platz lief, hatte sie plötzlich ein Schlüsselerlebnis: »Was mache ich hier eigentlich?« Noch nie habe sie so viel Heimweh gehabt wie an diesem fremden und zugleich vertrauten Ort. »Und dann habe ich für mich festgestellt, dass ich nicht mehr ins Hotel möchte, sondern nach Hause.«
Wieder zurück in Deutschland stieg Lena Roie in den elterlichen Betrieb ein und kümmerte sich um die Gastronomie. Die Roies besitzen neben Fahrgeschäften verschiedene Stände mit Bratwurst, Flammkuchen und Crêpe sowie ein Weindorf.
In den Hochphasen der Pandemie litt die Schausteller-Branche unter einem starken Einbruch im Geschäft. In Frankfurt bekam Lena Roie unter Hygiene-Auflagen die Möglichkeit, ihren eigenen Weingarten zu eröffnen.
Lena Roie ist die aktuelle Weinkönigin von Frankfurt
Als die Rheingauer Weinwoche in Frankfurt anstand, wurde Lena Roie dann auch noch gefragt, ob sie die nächste Weinkönigin werden möchte. In Frankfurt gibt es erst seit 2017 eine Weinkönigin. Deshalb habe sich um die Wahl noch kein Wettbewerb entwickelt, vermutet Lena Roie. Sie sagte zu: Bis November präsentiert die 28-Jährige ehrenamtlich das Weingut der Stadt Frankfurt. »Dann fahre ich mit meinem Dirndl und meiner Krone auf verschiedene Weinfeste, bin bei Eröffnungen dabei und mache Weinproben.«
Aktuell bildet sie sich nebenbei zur Sommelière weiter. Wenn die Zeit es zulässt, hilft sie im Familienbetrieb. In Altenstadt steht neben dem Elternhaus auch das Büro und die Lagerräume der Roies.
Roie wird dabei französisch ausgesprochen, erklärt sie. Im Krieg sei das »accent aigu« auf dem E verloren gegangen. Ob der Name etwas mit dem französischen Wort für König »roi« zu tun hat, weiß sie nicht. Als Weinkönigin scheint der Apfel aber wohl doch nicht so weit vom Stamm zu fallen.
INFO: Rittertraining auf dem Pferdekarussell
Karussell leitet sich von französisch ›carrousel‹ ab und bedeutet Ringelstechen. Seinen Ursprung hat die Kirmes-Attraktion im Mittelalter. Ritter trainierten ihre Geschicklichkeit auf dem Pferd, indem sie mit ihrer Lanze kleine Ringe aufspießten.
Als Freizeitbeschäftigung für adelige Männer wie Frauen kam das Ringelstechen an die Höfe des 18. Jahrhunderts. Aus Pferden wurden bald Holzattrappen auf einem beweglichen Rad. Da die Mehrheit ihre Lanze rechts hielt, drehen sich auch heute noch die meisten Karussells gegen den Uhrzeigersinn.