Alter Werkstoff, ganz modern: Ausstellung im Büdinger Heuson-Museum widmet sich Pappmaché

Die aktuelle Ausstellung »Alter Werkstoff, ganz modern« im Büdinger Heuson-Museum widmet sich einem außergewöhnlichen Material in besonderer Weise: Pappmaché.
Jedes Jahr feiert Venedig seinen bekannten Karneval mit kunstvollen Masken. Pappmaché als Material der Verkleidung ist hierzulande hingegen weniger bekannt. Weiter unten auf dem Stiefelabsatz Italiens ist Lecce als barockes Dorf bis heute geprägt von Heiligenfiguren aus dem Gemisch. Aber auch in Mexiko kommt das Erzeugnis bei den gefüllten Figuren der Piñatas im Zuge von Feierlichkeiten zum Einsatz.
Aus Papier und Bindemitteln
»Der Werkstoff, der vordergründig aus Papier und Bindemitteln besteht, kommt ursprünglich aus dem asiatischen Raum, bevor er in Europa Verwendung findet. Bis zur Erfindung des Bakelits, des ersten vollsynthetischen Kunststoffes, hatte Pappmaché eine bedeutende Rolle«, erklärt Susanne Cott, federführende Organisatorin der Ausstellung »Alter Werkstoff, ganz modern«, die aktuell im Büdinger Heuson-Museum läuft.
So wurden früher Tiermodelle in der Veterinärmedizin aus Pappmaché angefertigt, um Einblick in innere Organe zu gewähren. Aber auch Gebäude wurden damit verkleidet und ersetzten Marmor und Holz. Weiters war und ist das Produkt bei Möbeln im Einsatz, was aufgrund einer speziellen Wabenstruktur auch das Schlafen in einem Doppelbett ermöglicht. Schließlich wurden diverse Gebrauchsgüter aus der Substanz geformt.
Durch die Entdeckung von Plastik fand der Einsatz des Gemisches - bis auf einige Ausnahmen - ein jähes Ende. Dabei bietet Pappmaché etliche Vorteile gegenüber anderen Werkstoffen. »Aufgrund der niedrigen Herstellungskosten, des geringen Gewichts und der wärmedämmenden Eigenschaften wurde Papierbeton in den USA während des Baubooms eingesetzt und patentiert. Damals war nicht genügend Zement vorhanden, ein Problem, das wir auch heute haben«, führt Susanne Cott im Gespräch mit dieser Zeitung aus.
Ökologische Gesichtspunkte
Auch die Technische Universität Dresden erkannte das Potenzial des Produktes. Seit einigen Jahren wird dort erarbeitet, wie man Kunststoff durch Pappmaché ersetzen kann. »Dabei wird die Frage gestellt, wie oft ich beispielsweise einen Kunststoffstuhl recyclen muss, um auf den Wert zu kommen, den ich habe, wenn ich den gleichen Stuhl aus Pappmaché herstelle«, berichtet Susanne Cott. Die Antwort: Ein Stuhl aus Fasern ist dreimal weniger klimaschädlich.
Unabhängig von ökologischen Gesichtspunkten gibt es unzählige künstlerische Gestaltungsmöglichkeiten. »Dabei gibt es verschiedene Materialien - wie Papier oder Zeitungen - und unterschiedliche Techniken, die man auch untereinander kombinieren kann«, schildert Susanne Cott. Sie selbst arbeitet gerne mit Eierkartons. Bei größeren Objekten kann man auf ein Drahtgeflecht zurückgreifen. So ist auch der Wichtel von Susanne Cott entstanden, anhand dessen den Museumsbesuchern die Arbeitsweise gezeigt werden kann.
Als »begeisterte Laiin«, die sich hobbymäßig mit dem Thema beschäftigt, initiierte sie die Ausstellung über sechs Künstlerinnen und zwei Manufakturen. Darunter gibt es Exponate der Manufaktur Marolin aus Steinach in Thüringen zu betrachten, ein Unternehmen, das fünf Regierungssysteme und zwei Weltkriege überlebt hat, und heute von der Urenkelin des Gründers geleitet wird. Marolin versteht sich als reines Kunsthandwerk und begeistert Sammler mit detailgetreuen Weihnachtskrippen, Osterhasen, Märchenfiguren und Pin-Up-Figuren.
Leihgaben der Dynastie Adt
Ergänzt wird die Ausstellung von Leihgaben der einstigen Pappmaché-Dynastie Adt in Wächtersbach. Adt produzierte bis zur Entwicklung von Bakelit Gebrauchsgüter für den täglichen Bedarf. Von Sektkübeln, Tabletts bis hin zu Eimern sind die Erzeugnisse vor allem durch ihre Motivvielfalt geprägt.
Schließlich finden sich im Heuson-Museum Skulpturen von sechs zeitgenössischen Künstlerinnen, »die alle mehr oder weniger mit der gleichen Substanz arbeiten, aber verschiedenste Werke daraus kreieren«. So hielten einzigartige Fabelwesen, heitere Miniaturpuppen, majestätische Fantasiewesen, verspielte Kerzenmausfiguren und verträumte Chimären Einzug ins Museum. Abgerundet wird das Programm von Exponaten, die in Bewegung dargestellt sind und dabei dem stürmischen Wetter trotzen.
Technische Möglichkeiten
Nachdem das Erzeugnis mit dem Aufkommen von Plastik vom Winde verweht wurde, findet sich die Substanz heute vorwiegend in der Kunst und im Kunsthandwerk. Die Renaissance des Materials steckt noch in den Kinderschuhen. »Mit den heutigen technischen Möglichkeiten können wir das Gemisch als teilweisen Ersatz synthetischer Kunststoffe wieder zum Leben erwecken, da früher ja auch Produkte in Massen produziert wurden«, so Susanne Cott.
Möglicherweise gibt es dann neben venezianischen Verkleidungen auch das ganze Jahr über diverse Alltagsgegenstände aus dem vielseitig verwendbaren Papierbrei.

