Am Anfang war der Garten
Büdingen (red). Sie sind Speisekammer, Hausapotheke und Baumarkt in einem gewesen: Die Gärten der Menschen im Mittelalter erfüllten einen pragmatischen Zweck. Während heute überwiegend Ästhetik und Freizeitvergnügen im Vordergrund des Gärtnerns stehen, sollten die grünen Oasen der Vorzeit ihre Besitzer ernähren, von Krankheiten heilen und das bloße Überleben sichern in einer unwirtlichen Welt, die stark von Umwelteinflüssen abhängig war.
In der »Arbeitsgruppe Pflanzen« erforscht der Förderverein Burg Hofraite - passend zur anstehenden Landesgartenschau - die Bedeutung von Gärten im Mittelalter. Am 19. November lädt der Verein Interessierte zu einem wissenschaftlichen Kolloquium mit bekannten Referenten aus der Archäologie, Archäobotanik und Baugeschichte in die Büdinger Jugendherberge ein (siehe Info-Kasten). Dort sollen Einblicke in die nächsten Schritte des Vereins gewährt werden.
»Ziel unseres Projektes ist nicht nur, eine Burg zu bauen, die von ein paar Häusern umgeben ist, sondern auch das Leben der Menschen aus der damaligen Zeit verständlich darzustellen«, erklärt Jörg Grunewald, stellvertretender Vorsitzender des Vereins und Leiter der Arbeitsgruppe Pflanzen.
»Die Anlage soll chronologisch wie vor 1000 Jahren entstehen: Wenn ein Wohngebäude mit Stall errichtet wurde, ein sogenanntes Langhaus, dann war auch ein Garten unumgänglich, denn die Menschen brauchten eine Grundlage für ihre Ernährung und nachwachsende Baumaterialien, wenn sie an einem Ort sesshaft wurden«, so Grunewald.
Viele Pflanzen auch heute in Gärten
Mit rund 15 Mitgliedern forscht Grunewald seit August, wie groß zum Beispiel die Gärten im Verhältnis zu den Gebäuden waren, wie viele Menschen von ihrem Ertrag satt werden konnten und vor allem, welche Pflanzen zu Speise-, Würz-, Heil- oder Bauzwecken damals kultiviert wurden. Viele von ihnen zieren noch heute Gärten. Klar scheint auch, dass Obst und Gemüse der damaligen Zeit kleiner und weniger ertragreich waren als heute.
Maßnahmen gegen Fressfeinde
Bisweilen war Hungern angesagt, wenn das Wetter ganze Ernten verwüstete. Auch Tiere wie Wühlmäuse, Gänse oder Ziegen, die sich im umfriedeten Bereich einer Siedlung aufhielten, machten den Bewohnern den Ertrag streitig.
Eine Frage, der die Pflanzengruppe nachgeht, ist deshalb auch, welche Mittel damals verwendet wurden, um Fressfeinde oder Witterungseinflüsse effektiv fernzuhalten: Reichten Hecken oder Zäune aus, wie mussten sie beschaffen sein? Und wer pflegte die überlebenswichtigen Gärten am Haus?
Geld für ihre Arbeit erhielt die Vereinsuntergruppe vom Trägerverein »Mitmischen« im Rahmen des Bundesförderprogramms »Demokratie leben!«. »Bei uns kann jeder mitmachen und sein Wissen einbringen, denn die Feldkultur gibt es in allen Gesellschaften. Es geht um Ernährung, das betrifft alle Kulturen auf der Welt«, erklärt Grunewald.
Mit Unterstützung des Programms konnten Exkursionen organisiert werden, unter anderem ins Freilichtlabor Lauresham im heutigen Kloster Lorsch. Von hier stammt das Lorscher Arzneibuch, das älteste erhaltene medizinische Schriftwerk Deutschlands, datiert vermutlich auf das achte Jahrhundert. Der eigene Garten diente den Menschen nach Grunewalds Auffassung als eine Art Hausapotheke. Erst wenn deren Bestand nicht ausreichte, suchte man ein Kloster auf - es war, als würde man heute in ein Krankenhaus gehen, meint er.
Für die Stadt Büdingen soll Ende des Jahres ein kleines Handbuch entstehen, in der die Erkenntnisse der Pflanzengruppe dokumentiert werden.
Unter den verschiedenen Kontakten, die der Förderverein mittlerweile deutschlandweit geknüpft hat, befinden sich auch Anlagen wie der Hessenpark im Taunus und der Geschichtspark Bärnau-Tachov an der deutsch-tschechischen Grenze. Dessen wissenschaftlicher Leiter Stefan Wolters ist eine Koryphäe auf dem Gebiet der Archäobotanik, einer Wissenschaft, die sich mit der Geschichte der Pflanzen befasst. Zu ihm ist die Beziehung des Vereins besonders eng, weil sein imposantes Freilandmuseum, das seit bereits über elf Jahren eine Zeitreise ins Mittelalter ermöglicht, erahnen lässt, wie die Burg Hofraite in Büdingen einmal aussehen könnte.
Umso erfreuter ist Marko Appel, Erster Vorsitzender des Vereins Burg Hofraite, dass mit dem Archäologen Wolters einer von drei hochkarätigen Referenten gewonnen werden konnte.