An kleinen Betrieben orientieren

Am 8. Oktober findet die Wahl des Landrats für den Vogelsberg statt. Vier Kandidaten und eine Kandidatin treten an. Im Interview spricht die Kandidatin der Linken, Sabine Leidig, über den Einsatz für Ältere und arme Menschen, ökologischen Umbau und Druck auf Wiesbaden.
Was bringt eine ehemalige Bundestagsabgeordnete aus Kassel dazu, im Vogelsberg als Landrätin zu kandidieren?
Der Kreisverband der Linken hat sich viele Gedanken zur Landratswahl gemacht, auch weil die SPD darauf verzichtet hat, einen eigenen Kandidaten aufzustellen. Da gibt es die Befürchtung, dass die Frage der sozialen Gerechtigkeit hinten runter fällt. Zudem wollten sie eine Frau aufstellen. So kamen sie auf mich, die schon früher bei verkehrspolitischen Veranstaltungen im Vogelsberg war. Und ich war in den letzten Jahren immer wieder bei Protesten gegen die A 49 im Dannenröder Wald.
Kommunalpolitik ist etwas anderes als Bundespolitik, das schreckt Sie nicht?
Ich war im Main-Kinzig-Kreis im Kreistag und bin jetzt Fraktionsvorsitzende in der Stadtverordnetenversammlung Kassel. Ich mache dabei viel zu Verkehrspolitik und dem sozial-ökologischen Umbau. Zudem sitze ich im Hauptausschuss, der sich viel mit den kommunalen Finanzen und der Infrastruktur beschäftigt.
Was reizt Sie persönlich an einer solchen Kandidatur?
Das Wichtigste ist, dass die Wählerinnen und Wähler eine Alternative haben, die über das Eingespielte hinausgeht. Wir wollen mehr Aufmerksamkeit für die Lage der armen Menschen, die es auch im Vogelsberg gibt. Dazu kommt die Situation der Beschäftigten, gerade in den Bereichen öffentlicher Dienst, Pflege und bei Busfahrern. Sie finden nicht so viel Aufmerksamkeit, sind aber für das Funktionieren der Gesellschaft unverzichtbar. So ist eine Ausweitung des Öffentlichen Personenverkehrs total schwierig, weil Busfahrer fehlen. Ich würde es als Landrätin pushen, in der nächsten Tarifrunde deutlich bessere Arbeitsbedingungen zu schaffen. Die Kommunen müssen mehr Druck machen, damit kommunale Aufgaben gut erledigt werden können. Es geht um eine ökologische Ausrichtung und gute Arbeitsbedingungen.
Welchen Einfluss hat da eine Landrätin Sabine Leidig?
Zum Beispiel in der Wohnungsfrage. So wird darüber gesprochen, günstige Wohnungen zu bauen. Das verbraucht wieder zusätzliche Flächen. Es gibt aber auch Leerstand und viele alte Menschen, die in so großen Häusern leben, dass sie den Aufwand kaum bewältigen können. Es braucht öffentliche Träger, die solche Häuser so umbauen, dass sie barrierefrei sind und geteilt werden können. Dann findet im Obergeschoss eine Familie mit Kindern Platz.
Was sind die wichtigen Themen im Kreis aus ihrer Sicht?
Ich habe mit den Kreistagsmitgliedern über die Themen gesprochen, die relevant sind. Da geht es um fehlende Wohnungen für Ältere. Der Ausbau des Öffentlichen Nahverkehrs ist überall relevant. Ich bin eine Verfechterin der ökologisch-sozialen Infrastruktur und gegen Beton-Infrastruktur. So entsteht bei Homberg ein großes Gewerbegebiet. Ich bin dafür, dort nichts zu bauen. Die Hoffnung, dass Logistik-Unternehmen zur wirtschaftlichen Entwicklung vor Ort beitragen, ist längst widerlegt. Eine gute Autobahnanbindung führt eher dazu, dass die Menschen schneller wegfahren. Es geht um den Schatz an Wiesen, Wäldern und Feldern, der erhalten und nicht immer weiter verkleinert werden darf.
Da stellt sich die Frage nach den Arbeitsplätzen!
Schauen wir uns mal die Pflegebranche an. Da braucht es mehr Verantwortung der öffentlichen Hand. Privatisierte Altenpflege wird vor allem für Beschäftigte zunehmend unattraktiv. In den Niederlanden gibt es eine Betreuung durch Pflegeteams in der direkten Nachbarschaft. Da geht es um die Stärkung der Sozialstationen. Oder schauen Sie auf die Waldwirtschaft. Da werden überall Arbeitskräfte gesucht, der Klimawandel macht auch vor dem Vogelsberg nicht halt. Es geht um einen solidarischen Umbau der Wirtschaft und nicht darum, die Gewinne der Unternehmen zu vergrößern. In der Landwirtschaft bietet die Weidewirtschaft einen höheren Level beim Tierwohl, aber es fehlen Schlachthof und Molkerei vor Ort. Da ist ein Projekt für Schulessen mit regionalen Produkten sinnvoll. Wir sollten uns an den kleinen Unternehmen vor Ort orientieren.
Das Stärken der regionalen Wirtschaft betrifft auch den Bereich Windkraft und Fotovoltaik?
Da bin ich für so viel Beteiligung der Kommunen wie geht. Die Kommunen sollen am Ertrag beteiligt sein und die Menschen vor Ort sollen etwas davon haben. Das kann preiswerte Energie sein oder eine Beteiligung über eine Genossenschaft. Bei der Fotovoltaik ist es absolut okay, wenn Freiflächenanlagen so errichtet werden, dass eine landwirtschaftliche Nutzung weiterhin möglich ist. Gut ist zudem eine direkte Versorgung der Haushalte mit Strom und Warmwasser vom Dach.
Wie schätzen Sie die Lage beim Grundwasser ein?
Die nachlassenden Niederschläge sorgen für ein Absinken der Grundwasserspiegel. Wir haben kein akutes Grundwasserproblem, aber mittelfristig durchaus. Wir müssen schauen, wo wir mehr Grauwasser nutzen können. Es geht um den Schutz der knapper werdenden Ressourcen. Da ist der Bau der A 49 durch ein Wasserschutzgebiet ein negatives Beispiel.
Mal ein anderes Thema, wie stehen Sie zur AfD?
Die Rechten sind Gegner, weil sie gegenteilige Werte vertreten. Sie sind gegen Solidarität, haben keinen Ansatz für sozialökologische Gerechtigkeit und sind gegen die Gleichberechtigung von Geflüchteten. Das ist gefährlich für unser Land. Ich sehe aber auch, das sich mehr Menschen aus anderen Parteien auf das Sprechmuster der Rechten einlassen.
Wie soll der Kreis mit Flüchtlingen umgehen? Es gibt ja Klagen, dass er das kaum bewältigt.
Da muss man den Bund in die Pflicht nehmen, ich sehe da ein wenig ein Imstichlassen der Kommunen. Der Vogelsberg bewältigt das dennoch sehr gut. Wenn Menschen aus Krisengebieten hierher kommen, brauchen sie erst mal ein Dach über dem Kopf und Essen. Es wäre gut, wenn sie schneller eine Wohnung finden, wenn das Verfahren weit genug ist. Ganz wichtig sind Deutschkurse und es geht um Teilhabe. In einem Verein und bei der Arbeit lernst du schneller Deutsch als in einer Gemeinschaftsunterkunft. Das zeigt die gute Erfahrung mit ukrainischen Flüchtlingen. Sie konnten gleich arbeiten und bekommen Deutschkurse. Wichtig sind auch Netzwerke, so können Menschen, die schon länger da sind, den Neuankömmlingen helfen. Es sind zurzeit viele Flüchtlinge in Deutschland und wir müssen damit umgehen. Wir können froh sein, dass wir hier leben und nicht in Afghanistan.
Wie wollen sie den Vogelsberg attraktiv für Familien machen, die aus dem Ballungsraum hierher ziehen wollen?
Da ist es sehr hoch angesiedelt, eine gute Kinderbetreuung zu haben. Der Vogelsberg hat viel zu bieten, so schauen viele Eltern darauf, ob ihre Kinder draußen spielen können. Da geht es um eine gesunde Umwelt. Auch im Vogelsberg sind die Baukosten recht hoch. Da stellt sich dann die Frage, was geschieht mit den alten Gebäuden. Da können wir Beratung und Unterstützung beim Eigentumsübergang von Senioren auf junge Familien und für die Sanierung alter Gebäude bieten. Da können wir versuchen, Lösungen für Menschen mit wenig Geld zu finden.
Ein anderes aktuelles Problem ist der Neubau des Kreiskrankenhauses Alsfeld - kommt da genug Unterstützung vom Land?
Diesen Neubau kann der Kreis nicht alleine stemmen. Da muss mehr Druck in Wiesbaden gemacht werden, um mehr Geld herauszuholen. Die medizinische Grundversorgung muss wohnortnah sein. Wenn die Oma 150 Kilometer entfernt im Krankenhaus liegt, ist es schwierig, sie zu besuchen.
Der Wahlkampf dauert ja schon ein wenig, was sind die Themen in Gesprächen mit Vogelsbergern?
Immer wieder wird die Sorge um die medizinische Versorgung genannt. Dann wird immer wieder über die Belastung der Anwohner durch Lkw-Verkehr in Orten geklagt. Ein wichtiges Anliegen ist den Menschen auch der Ausbau der Vogelsbergbahn und ein besserer ÖPNV. Immer wieder vorgebracht wird auch die Sorge um das Wasser im Vogelsberg.