Aufenthalt immer neu erkauft

Ulfa (em). »Juden und Judenfriedhof zu Ulfa«: eine neue Arbeit aus dem Heimat- und Geschichtsverein Ulfa liegt vor. Ein Blick auf das Quellenverzeichnis von den sogenannten Kastenrechnungen der Kirche und der Gemeinde Ulfa bis zu den Staatsarchiven Marburg und Darmstadt, vom Gräflich Solms’schen Archiv Rödelheim bis zu Publikationen zeigt, dass der Geschichtsvereinsvorsitzende Günter Stahnke viel Mühe für die Recherchen aufgebracht hat.
Unklare Erinnerungen an einen jüdischen Friedhof auf der Ortsgemarkung weckten als erstes sein Interesse: »Die Zeit, in der in Ulfa Juden lebten und arbeiteten, liegt weit zurück.« Schrittweise arbeiteten sich Stahnke und seine Mitinteressierten im Verein in das Thema ein, fanden einen sachkundigen Dialogpartner und Hinweisgeber in Reinhard Pfnorr, Stadtarchivar von Nidda und Vorsitzender des Vereins Heimatmuseum Nidda
Historische Spurensuche ist nicht »trocken«, sondern schließt sogar abenteuerliche Erlebnisse ein. So bei einem Rundgang zu alten Grenzsteinen am Rand der Gemarkung, der auch dem Auffinden des Judenfriedhofs außerhalb des Ortes Richtung Gonterskirchen oberhalb des Dr. Metzler-Brunnens galt.
Gewannbuch gibt erste Hinweise
Nur Wald, weder Mauern noch Grabsteine waren oberirdisch zu sehen - bis Gerhard Kalbfleisch, ehemaliger Katasterbeamter, seine Prüfgeräte einsetzte und die bis über die Oberkante hinaus im Erdreich steckenden Grenzsteine zeigen konnte. Eine erste Nennung, auch von sechs Flurstücken um diesen Friedhof herum fand Stahnke im Gewannbuch von 1732, eine Wiederholung 1831 bei der Neueinteilung der Flurstücke.
Rätselhaft ist, warum auch Niddas jüdische Gemeinde einen so weiten und beschwerlichen Weg auf sich nahm, um ihre Toten hier zu bestatten. Angeblich wurden sogar Juden aus Butzbach und Hungen hier beerdigt. Hinweise auf eine Änderung fand Stahnke im 1971 erschienenen Buch »Die jüdischen Gemeinden in Hessen« von Paul Arensberg: »Erst 1831 verlangten die Juden einen eigenen Begräbnisplatz in der Gemarkung Nidda« und weiter nach Erwähnung einer damals grassierenden Cholera-Epidemie: »Man kann davon ausgehen, dass der entlegene Friedhof Ulfa 1831 mit der Inbetriebnahme des vor dem Stadtpark gelegenen Friedhofs, der damals eigentlicher christlicher Friedhof war, geschlossen wurde.«
Jüdische Friedhöfe müssen »ewig« bleiben. Bei der Feldbereinigung 1923/26 lehnte die jüdische Gemeinde den Kauf des Geländes durch das Land ab. Auch bei der zweiten Feldbereinigung 1968/70 wurde die Parzelle gesondert ausgewiesen.
Wie aber stand Ulfas jüdische und christliche Bevölkerung im Alltag zu einander? Auch hier wurde Stahnke fündig und zwar in den kirchlichen Kastenrechnungen ab 1616 und den Jahresrechnungen der Gemeinde. Durch einen glücklichen Zufall wurden diese in einer Scheune gefunden.
Zufriedenstellende Pachtverhältnisse
Stahnke konnte sie nutzen und die Archivalien dann an das Niddaer Stadtarchiv weitergeben. Der Jude Musch (Moses?) bearbeitete ab 1616 über 30 Jahre lang als Pächter Land der evangelischen Kirchengemeinde und musste dafür jährlich ein halbes Pfund Wachs, wohl Bienenwachs, abliefern.
Offensichtlich war das Pachtverhältnis für beide Teile zufriedenstellend. Auch Hinweise auf gelegentliche Verstöße finden sich. War der »Mosche« genannte Jude derselbe wie der oben genannte Pächter, der 1636 vom Kirchenkonvent Schotten beschuldigt wurde, sonntags wie an einem Markttag auf der »Oberplatte«, dem Platz vor dem Pfarrhaus, Handel getrieben zu haben?
Stahnke nennt einen weiteren Juden namens Isaac (Eisig), der 1636 mit seinem Pferd auf der Oberplatte herumgeritten war und die Feiertagsruhe verletzt hatte, Jahre später Bier an einem Sonntag nach Büdingen gebracht und den Transport am Sabbath unterbrochen hatte - eine Demonstration der Regeln seines Glaubens.
Stahnke fand Hinweise, dass solche Verstöße von den örtlichen Behörden an einen speziellen Judenkonvent nach Gießen übermittelt wurden, der dann das Strafmaß festsetzte.
Ein Judenschutzbrief der »Hochgräflichen Regierung hier selbst«, nämlich der Herrschaft Solms-Rödelheim und damit Grundherren in Schotten-Einartshausen für die Töchter des Salme (Salomon) Joseph und ihren vier Kindern aus Ulfa zeigt, dass das Leben jüdischer Familien damals unsicher und drückend war. Ein jährliches Schutzgeld von sechs Gulden musste im Voraus entrichtet, das Aufenthaltsrecht dann immer neu erbeten und erkauft werden.
