Ayleen-Prozess Gießen: Bewährungshelfer von Jan P. erkannten enormes Rückfallrisiko

Im Ayleen-Verfahren am Landgericht Gießen haben die Berichte von Bewährungshelfern das Bild über den Angeklagten Jan P. vervollständigt. Sie beschreiben ihn als Mann, dem Regeln egal sind.
Gießen - Der deutsche Strafvollzug hat im Idealfall die Resozialisierung von Straftätern als Ziel. Nach ihrer Entlassung kümmern sich Bewährungshelfer um sie, kontrollieren sie und beraten sie in allen Lebenslagen. Wobei das mit der Kontrolle so eine Sache ist: Rund um die Uhr können sie eben doch nicht auf die ehemals Inhaftierten aufpassen. Und immer hinter die Fassade schauen erst recht nicht. Jan P. hatte zwischen 2017 und Anfang 2022 drei Bewährungshelfer. Er hielt sich nach deren Berichten kaum an Terminabsprachen. Vielmehr sei er »dummdreist, provokativ und überheblich« aufgetreten, habe keine Grenzen akzeptiert, wie am gestrigen Montag (18.9.2023) sein Bewährungshelfer im Zeugenstand am Landgericht Gießen erzählt. Sein später zuständiger Kollege glaubte Jan P. kein Wort, als dieser angab, dass er nach dem Absetzen eines »triebzerstörenden« Medikaments kein sexuelles Verlangen verspüre. Dennoch endete dessen Führungsaufsicht Anfang 2022. Am 22. Juli tötete der heute 30-Jährige die 14 Jahre alte Ayleen zwischen Cleeberg und Espa und versuchte, ihren Leichnam im Teufelsee bei Echzell zu versenken.
Angeklagter Jan P. gibt sich im Gießener Ayleen-Prozess völlig desinteressiert
Seit zwölf Verhandlungstagen geht es in dem Verfahren hauptsächlich um ihn: Jan P. Wenn der Prozesstag beginnt, wirkt es, als suche der Angeklagte aus dem Lahn-Dill-Kreis die Besucherreihen ab. Danach aber gibt er sich in der Regel desinteressiert. Vor allem, wenn es um die Tat geht, die er bereits am ersten Verhandlungstag gestanden hat. Dafür sprachen andere: Vor allem Polizisten oder die Mutter von Ayleen, außerdem Freunde und Bekannte von Jan P. Die Berichte der Bewährungshelfer am Montag vervollständigen das Bild über den Angeklagten - während die Aussage der Schwester von Jan P. eher dünn ausfiel.
Bewährungshelfer warnten vor schlechter Prognose für Jan P.
Der erste Bewährungshelfer kann sich noch gut an Jan P. erinnern. »Der Fall war sehr ungewöhnlich, weil der Angeklagte seine gesamte Pubertät in der Forensik verbracht hat«, sagt er. Jan P. hatte als 14-Jähriger versucht, eine Elfjährige auf dem Weg ins Freibad zu vergewaltigen. Die Tat konnte gerade noch von Passanten verhindert werden. Anschließend ging er ins Freibad schwimmen, so als sei nichts gewesen. Vor dem Amtsgericht wurde er am 12. Dezember 2007 schuldig gesprochen und seine Unterbringung in einer geschlossenen Psychiatrie angeordnet. Der Gutachter sah bei Jan P. nach der Verhandlung eine verminderte Schuldfähigkeit nach Paragraf 21 Strafgesetzbuch. Zwar könne ein hirnorganischer Schaden bei Jan P. ausgeschlossen werden. Er sei aber intelligenzgemindert und besitze eine dissoziale Persönlichkeit. Zudem könne eine schwere seelische Abartigkeit nicht ausgeschlossen werden. Jan P. sei weder zu Selbstkritik, noch zu Empathie fähig und das Rückfallrisiko enorm. Bereits als Jugendlicher habe er von seinem Pflegevater hauteng begleitet werden müssen, damit er sich an Regeln hielt. Ohne Aufsicht habe er sich zügellos seinen »Augenblickswünschen« hingegeben.
Bewährungshelfer von Jan P sagen in Ayleen-Prozess aus: Keine Aussicht auf Besserung
Die forensische Unterbringung endete nach acht Jahren, nachdem ein Gutachten einer externen Sachverständigen die Diagnose der verminderten Schuldfähigkeit des Jan P. in Zweifel zog - erfolgreich. Unter anderem deshalb, weil dessen Intelligenzleistung zugenommen und damit das Merkmal Intelligenzminderung nicht mehr gegeben sei. Anfang 2017 wurde Jan P. entlassen und unter eine dreijährige Führungsaufsicht gestellt. Diese wurde später um zwei Jahre verlängert. Zudem musste er sich dazu verpflichten, mit der Ambulanz der Vitos-Klinik zusammenzuarbeiten und seine sexualtriebhemmenden Medikamente zu nehmen.
Doch die, schildert einer seiner Bewährungshelfer, habe Jan P. abgesetzt, weil bei einer Untersuchung der ärztlich begründete Verdacht auf Osteoporose aufkam - eine bekannte Nebenwirkung des Medikaments. Eine Auflage sei deshalb gewesen, dass Jan P. Wesensveränderungen infolge der Absetzung dokumentieren und mitteilen sollte. Dies tat der Angeklagte aber nicht. Ohne Folgen - obwohl sein zweiter für ihn zuständiger Bewährungshelfer bereits 2019 in einem Bericht schrieb, dass nach dem Einsetzen der sexuellen Triebe bei Jan P. die Gefahr für neue Straftaten bestehen könnte.
Schwester des Angeklagten in Ayleen-Prozess befragt: Jan P. wollte Sex mit ihr
Der letzte Bewährungshelfer von Jan P. notierte im Januar 2020, Jan P. blocke beim Thema Sexualität sofort ab und wolle nicht darüber reden. Dabei sei dies ein letzter wichtiger Schritt, um Jan P. aus der Führungsaufsicht zu entlassen. Als später der Verdacht aufkam, dass er Mädchen belästigt haben soll, erging die Anordnung, dass Jan P. keinen Kontakt zu Kindern und Jugendlichen haben dürfe.
Mit seiner Schwester sprach Jan P. aber sehr wohl über Sexualität. Wie die heute 24-Jährige als Zeugin erzählt, sei er 2018 in ihr Zimmer gekommen und habe ihr erzählt, sexuell klappe es nicht mit seiner damaligen Freundin. Ob er es mal bei ihr versuchen könnte… Dann habe er ihr zwischen die Beine greifen wollen. Ob sie nach alldem noch Kontakt zu ihm haben will, fragt die Richterin. »Auf keinen Fall.« Sie denke jedes Mal, sein Opfer hätte auch ihre Tochter sein können. (Kays Al-Khanak)