Bach und Schweitzer vereint

Nidda (det). Literaturkonzerte sind eine besonders eindringliche Art, sprachliche und klangliche Botschaften miteinander zu verbinden. So konnte jetzt der Öffentlichkeitsreferent des evangelischen Dekanats Büdinger Land, Gert Holle, ein Konzert mit seinem Neffen, dem jungen Flötisten Peter Chorkov, und mit Dekanatskantorin Katrin Anja Krauße (Eule- und Truhenorgel) in der Stadtkirche organisieren.
Krauße spielte mit Bachs Fantasie und Fuge in G-Moll an der Eule-Orgel das Konzert ein, brachte das reiche Spiel der Stimmen des Werks zur Geltung. Holle setzte dem Blick auf geballte Probleme eine andere Perspektive entgegen: »Wir haben die Kraft zur Änderung, haben Helfer und Ideen, Menschen, die uns vorangegangen sind, sich den Problemen ihrer Epoche gestellt haben.«
Der Bogen zu Albert Schweitzer
So schlug der Sprecher den Bogen vom großen Musiker Bach in den Spannungen der Barockzeit wie auch in persönlichen Schicksalsschlägen zum Theologen und Urwaldarzt Albert Schweitzer, der zugleich Zeitzeuge zweier Weltkriege und zunehmender atomarer Bewaffnung war.
Von Bachs »Zwölf Fantasien für Flöte ohne Bass« spielte Chorkov die siebte »Alla Francese« mit ihren reichen Verzierungen. Der junge Musiker gab eine höchst beeindruckende solistische Leistung. Die Blockflöte, die er seit seinem 15. Lebensjahr spielt, gilt vielen nur als Einstiegsinstrument. Beim virtuosen Spiel Chorkovs begriffen Zuhörende erst das subtile Klangspektrum, die Ausdruckskraft von Blockflötenmusik. Chorkov hat mehrere Wettbewerbe gewonnen, setzte sein Masterstudium erst in Brüssel, derzeit in Wien im Konzertfach Blockflöte fort: »Der Studienort Wien ist auf inspirierende Art von Musik durchzogen«, sagt er.
»Was Schweitzer als zentrale These ›Ehrfurcht vor dem Leben‹ nennt, ist nach heutigem Verständnis ökologisch gedacht«, betonte Holle die Aktualität dieses Ansatzes. Er erläuterte ausführlich die Ethik, die Schweitzer nicht nur formulierte, sondern vorbildhaft lebte und die ihm 1953 den Friedensnobelpreis einbrachte.
Aus den späten 1730er Jahren stammt Bachs Sonate in h-Moll. Chorkov hat sie in der Flötenfassung nach c-Moll transponiert. »Bach hat seine Sonaten für Streich- und Tasteninstrumente geschrieben. So musste er nicht bedenken, dass ein Flötenspieler ja auch mal Atem holen muss«, meinte Chorkov im Nachgespräch. Mit solch spieltechnischen Herausforderungen geht er souverän um. Auch lange melodische Bögen dieses Werkes, etwa solistische Abschnitte im zweiten Largo e dolce-Satz, trug er mit wunderbarer Leichtigkeit vor.
Wie er ist auch Anja Katrin Krauße eine vielbeschäftigte Musikerin. Die beiden hatten nur einmal Gelegenheit zur Vorbereitung dieses Konzerts. Davon war nichts zu bemerken. Die beiden Instrumente umspielten sich etwa in der Fuge des dritten Satzes, den hüpfenden Trio-Abschnitten, mit einer meisterlichen Präzision. Eher war Krauße wie Chorkov die Freude am Reichtum barocker Kompositionen anzumerken, das fast freundschaftliche Sich-Zunicken am Ende der Sätze.
Holle schilderte Schweitzers »Weg zu Bach« von den Klavierstunden des Fünfjährigen bis zu seiner Meisterschaft an der Orgel, der Zusammenarbeit mit dem berühmten Orgelvirtuosen Charles Marie Widor. Die beiden gaben gemeinsam eine Neuausgabe von Bachs Orgelwerken heraus, wobei Schweitzer die Präludien und Fugen kommentierte, Widor die Sonaten und Konzerte. So radikal Schweitzer nach dem Medizinstudium und der Ausreise sein Leben veränderte - ohne Musik mochte er auch als Urwalddoktor nicht sein und nahm ein tropenfest gebautes Klavier mit Pedalaufsätzen in einem mit Zink verkleideten Gehäuse mit nach Lambarene.
Plötzlich erklingen Vogelstimmen
Für Flöte umgeschrieben war auch Bachs nächste Sonate in G-Dur. Anschließend spielten Krauße und Chorkov leise Bach’sche Musik im Hintergrund, während Holle Kernsätze aus der Ethik Schweitzers vortrug, etwa: »Wir leben in einem gefährlichen Zeitalter. Der Mensch beherrscht die Natur, bevor er gelernt hat, sich selbst zu beherrschen.« Bravorufe und stehende Ovationen gab es am Ende, als Chorkov mit der Renaissance-Komposition »Engels Nachtigaeltje« des Holländers Jacob van Eycks ein reizvolles, virtuos gespieltes Vogelstimmen-Klangbild gab.
Ein ähnlich eindrucksvolles, gewissermaßen interdisziplinäres Konzert gab es zuletzt bei der Einweihung der Eule-Orgel, als Volker Bilz Kraußes meisterliches Orgelspiel mit Leseabschnitten aus Robert Schneiders Musiker-Roman »Schlafes Bruder« vertiefte. »Solche Konzerte sollte es öfter geben« meinte eine Zuhörerin nach Konzertende.