Auf den Spuren Einsteins

Übermorgen, am Sonntag, ist’s soweit: Vor 100 Jahren veröffentlichte Albert Einstein die Allgemeine Relativitätstheorie, die seinerzeit noch umstritten war – wie sehr, erfuhr das deutsche Wissenschaftler-Genie im Jahr 1920 unter anderem in Bad Nauheim. Über seinen Besuch sprach die FNP mit Brigitta Gebauer.
„Heureka!“ So mag Albert Einstein gedacht haben, als er vor einhundert Jahren seine Allgemeine Relativitätstheorie in den Annalen der Physik veröffentlichte. Im September 1920 ging es ihm möglicherweise ganz anders – als er in Bad Nauheim weilte, um dort an der 86. Versammlung Deutscher Naturforscher und Ärzte teilzunehmen.
Durch Zufall stieß die Lokalhistorikerin Brigitta Gebauer vor Jahren auf die Tageblätter der Gesellschaft, in der die große Versammlung mit immerhin 2600 Teilnehmern dokumentiert war. Unter den Wissenschaftlern waren seinerzeit auch 17 Nobelpreisträger.
Einstein verteidigte hier seine Thesen in einem Streitgespräch gegen den Physiker Philipp Lenard, der anderer Auffassung war, womit der Besuch in Bad Nauheim in Einstein nachgehallt haben dürfte: „Wenn man vor so vielen Menschen herausgefordert wird und jemand sagt ,deine Ansicht stimmt nicht‘, geht das nicht an einem vorüber“, sagt Gebauer.
Bürger einbezogen
Vom naturwissenschaftlichen Standpunkt betrachtet, sei die Diskussion eine wichtige wissenschaftliche Auseinandersetzung gewesen. Dokumentiert hat die Debatte Ludwig Hardt in der Broschüre „Hahnenkampf über Relativität“.
Nach ihrem Fund der Tageblätter im Archiv des Hessischen Staatsbades begann die Bad Nauheimerin über die Veranstaltung zu forschen, deren Existenz bis dahin zwar bekannt war, nicht jedoch die Abläufe und Hintergründe. Selbst die Gesellschaft Deutscher Naturforscher und Ärzte hatte keine Ausgabe der alten Tageblätter mehr in ihrem Besitz. Vor Gebauer liegt ein dicker Ordner, in dem all ihre Unterlagen zu diesem Thema abgeheftet sind.
Die Informationen schlug sie in Lexika, Büchern und anderem Schriftmaterial nach. „Ich hatte damals noch kein Internet“, blickt sie zurück. Wie sie feststellte, war das Ereignis nicht nur wissenschaftlich, sondern auch lokalhistorisch spannend gewesen.
„Es war kein Kongress, der mit lauter Hochkarätigen wie in Quarantäne stattfand, sondern Bad Nauheim war einbezogen“, so Gebauer. Die Bevölkerung war zu tatkräftiger Hilfe aufgerufen worden. „Wir benötigen 2000 Betten“, hieß es in einem Zeitungsaufruf. „Es war eine organisatorische Meisterleistung der Einwohner“, erklärt Gebauer.
Auch Einstein dürfte in der Stadt genächtigt haben – zumindest war der damals 41-Jährige für die Villa Carola in der Küchlerstraße 2 angemeldet, gemeinsam mit seinem Freund Max Born.
Übereinstimmung hoch
Ob die beiden tatsächlich dort waren oder bei Born in Frankfurt übernachteten, ist nicht nachgewiesen, da kein Gästebuch erhalten ist. Zu sehen sind die zwei Männer aber auf einem Foto, das eine Fülle Tagungsteilnehmer auf der Eingangstreppe zum Sprudelhof zeigt. Im Fall des Bildes von Einstein war sich Gebauer seinerzeit nicht auf Anhieb völlig sicher. Sie schickte das Foto an Medizinwissenschaftler, die ihn nicht eindeutig identifizieren wollten, doch die Übereinstimmung mit anderen Einstein-Porträts ist sehr hoch.
Ihre Forschung schloss die Lokalhistorikerin 2007 ab, als sie mit Stadtarchivarin Brigitte Faatz die Schrift „Die 86. Versammlung Deutscher Naturforscher und Ärzte 1920“ herausbrachte. Bis auf einige Restexemplare ist sie vergriffen. Zum 50. Todestag des Genies hatte die Stadt im Jahr 2005 die Einstein-Woche zelebriert, in deren Verlauf eine Gedenktafel aufgestellt wurde. Standort ist das Parkdeck Sprudelhof, ehemals Badehaus 8, das Schauplatz des spektakulären Streitgesprächs war.
Den Tafeltext über „die bedeutendste Veranstaltung in der Geschichte der Kurstadt als Wissenschaftsstandort“ schrieb Brigitta Gebauer, wobei sie in Zusammenarbeit mit der Arbeitsgemeinschaft Geschichte agierte. Ferner erinnern die Albert-Einstein-Straße in der ehemaligen Amerikanischen Siedlung und die Einstein-Platte auf dem Walk of Fame an den Besuch, gestiftet vom früheren Stadtmarketing-Chef Ulrich Schlichthaerle.