Abends, als das Wasser kam: Erfahrungen in Schwalheim und Wisselsheim

Die Bad Nauheimer Stadtteile Schwalheim und Wisselsheim sind am 16. August massiv von Starkregen betroffen gewesen. Die Ortsbeiräte machen sich Sorgen.
Lieblich führt der Weg durch die Felder von Wisselsheim, leicht bergauf geht die Strecke. Ortsvorsteherin Gisela Babitz-Koch (CDU) schaut kritisch auf die Landschaftslinie am Horizont, sie will auf ein Problem aufmerksam machen: Das Hochwasser im vergangenen Monat, bedingt durch Gewitter und Starkregen.
Babitz-Koch ist sicher: Es hat etwas mit der Hanglage des Geländes zu tun. Und, wie sie denkt, könnte es schwieriger werden, wenn in der Gemarkung Windräder gebaut werden. Es würde ihrer Ansicht nach zu einer Versiegelung der »Wasserscheide« führen und Hochwasser-Ereignisse weiter begünstigen (siehe unten).
»112« war besetzt
»Am Mittwoch, 16. August, rief mich abends eine Bürgerin aus Wisselsheim an. Sie sagte: ›Du musst unbedingt kommen‹«, erinnert sich die Ortsvorsteherin. Erschrocken schaute Babitz-Koch damals aus dem Fenster. »Es hat gedonnert und geblitzt, ich habe mich kaum getraut, mich ins Auto zu setzen.« Sie fuhr dennoch los und traf die Frau, die verzweifelt in der neu gestalteten Dorfmitte Wisselsheim stand. Wasser rauschte um ihre Knöchel. »Wir standen beide da und wussten nicht, was wir machen sollen«, erinnert sich Babitz-Koch. Die »112« war ihren Worten zufolge immerzu besetzt. »Klar, weil da so viele angerufen haben.«
Im Stadtteil Schwalheim herrschte an diesem Abend ebenfalls Aufregung, weshalb sich der Ortsbeirat jüngst mit dem Thema befasste. »Ich habe eine ganze Nacht den Keller ausgepumpt. Vier Tage lang habe ich alles ausgeräumt, trockengelegt und die Deponie angefahren. Das ist kein Spaß«, blickte Ortsbeiratsmitglied Alexander von Bischoffshausen (CDU) zurück. Ihm sei klar geworden, dass die geplanten Hochwasserkarten das Problem nicht hundertprozentig lösen können. »Das primäre Problem ist, dass die Kanäle die Wassermassen nicht fassen können. Auf diese Weise kommt es aus allen Ecken und Enden hervor. Bei manchen schießt ein Rückstau ins Haus, bei anderen sprudelt es aus den Gullis.«
Wird zu viel gebaut?
Da Schwalheim laut dem Christdemokraten in einer Senke liegt, könne es an vielen Orten passieren. »Man sollte überlegen, ob unser Kanalsystem für diese Wassermassen wirklich zukunftsträchtig ist«, sagte er. Mindestens 50 Haushalte haben sich an Ortsbeiratsmitglied Hans-Jürgen Englert gewendet, weil sie das gleiche Problem wie von Bischoffshausen gehabt haben. Nach Englerts Ansicht hat der Stadtteil »kein Überschwemmungsproblem«, aber es würden zu viele Eigenheime gebaut - und der Kanal reiche dafür nicht aus.
Ein älteres Ehepaar war extra zur Ortsbeiratssitzung gekommen, um sich nach Hilfe zu erkundigen. Die Seniorin und ihr Mann leben »Am Wingert«, die Frau sagte: »Ich dachte immer, wir wohnen auf dem Berg. Als wir einige Tage nach dem 16. August aus dem Urlaub kamen, war es nicht toll. Wir haben einen Wasserschaden, alles ist nass, feucht und muss ausgeräumt werden.« Das Laminat musste raus, der Boden neu verlegt und es musste gestrichen werden.
Ihrer Überzeugung nach darf man das Vorkommnis nicht kleinreden. »Was Herr Englert gesagt hat, finde ich gut, es wird alles zugebaut. Immer bauen, bauen, bauen - aber da hängt so viel anderes dran. Wir können nicht die ganze Erde zubauen. Wir brauchen auch Flächen, wo das Wasser hinkann«, sagte sie. Der Schwalheimer Ortsbeirat beschloss, aktiv zu werden und herauszufinden, wie viele Betroffene es gibt.
Gras soll Gräben nicht verstopfen
Im Ortsbeirat Rödgen/Wisselsheim wurden ebenfalls Beschlüsse gefasst, beispielsweise: Einen Mulcher mit Gebläse zu kaufen, damit der Bauhof das Schnittgut sofort abfahren kann, wenn die Arbeiter Feldweg- und Grabenränder mähen. Ziel ist es, dass das Gras die Gräben nicht verstopft. Zudem sollen die Gräben dreimal pro Jahr gemäht werden, damit Regenwasser besser ablaufen kann. »Ich habe auch vorgeschlagen, ein ›Grünes Becken‹ anzulegen«, sagt Babitz-Koch. Dabei handelt es sich um ein naturnahes, nicht betoniertes Rückhaltebecken. Nachdenklich schaut sie auf die geplante Windkraftfläche und betont: »Es muss angesprochen werden, was da geplant ist.«
Drei Fragen an Bürgermeister Klaus Kreß
Nach den Überschwemmungen in Schwalheim und Wisselsheim vom 16. August: Für welche Situation ist das Kanalsystem ausgelegt? Und für welche nicht?
Das Fassungsvermögen unseres Kanalnetzes ist groß genug, um mittlere und stärkere Regenereignisse zu bewältigen. Aufgrund des Klimawandels müssen wir uns aber auf häufigere extreme Starkregenereignisse wie am 16. August einstellen. Hierauf sind unsere Kanalnetze jedoch nicht ausgelegt. Vor diesem Hintergrund investieren wir kontinuierlich in die Modernisierung unseres Kanalnetzes und sichern so dessen Leistungsfähigkeit. Im vergangenen Jahr haben wir beispielsweise einen neuen Stauraumkanal in der Dieselstraße angelegt. Bei unserem Vorgehen berücksichtigen wir sowohl die technischen Möglichkeiten und finanziellen Ressourcen, als auch das lokale Gefahrenpotenzial.
Würde es seitens der Stadt Sinn ergeben, Empfehlungen auszusprechen, an welchen Standorten Häuser nachgerüstet werden müssen, beispielsweise mit Schutzelementen, Rückstauventilen und Zisternen?
Wir arbeiten derzeit daran, Starkregengefahrenkarten für Bad Nauheim zu erstellen. Sobald diese vorliegen, können wir zielgerichtet vorgehen und an besonders gefährdeten Stellen geeignete Maßnahmen ergreifen sowie Handlungsempfehlungen für die Anwohnerinnen und Anwohner abgeben. Neue Impulse hinsichtlich Zisternen und Rückstauelementen wird es zweifellos auch von unserem neuen Klimaanpassungsmanager geben, der im kommenden Monat seine Tätigkeit aufnehmen wird. Zu konkreten Schutzmaßnahmen für Wisselsheim werden wir uns mit unserer Nachbarkommune Wölfersheim eng abstimmen.
In der Gemarkung Wisselsheim sollen Windräder errichtet werden. Wie beurteilen Sie die Versiegelung von Flächen auf der sogenannten Wasserscheide vor dem Hintergrund der jüngsten Überflutungen?
Durch die geplante Errichtung der Windräder erwarten wir keine Probleme beim Regenwasserablauf. Zur Überflutung in Wisselsheim kam es auch nicht aufgrund von Flächenversiegelungen. Entscheidend ist hier die Frage, wie es uns in Zukunft besser gelingen kann, bei Starkregenereignissen das Wasser auch in den Hanglagen zu halten. Einerseits müssen wir hier den Oberflächenablauf optimieren, andererseits gilt es, die Bedingungen der Versickerung vor Ort zu verbessern. Dies zählt zu den Daueraufgaben der Stadt Bad Nauheim. Auch durch die Bewirtschaftung der Äcker kann die Abflusseigenschaft großer Flächen positiv beeinflusst werden, beispielweise durch angepasstes Pflügen und das Einrichten von Blühstreifen.