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Als Kind im Konzentrationslager

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Von: red Redaktion

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»Die Angst begleitet mich immer.« Mieczyslow Grochowski berichtet den Schülern von seiner Zeit im KZ. © pv

Bad Nauheim (bf). Vier Jahre alt war Mietek, eigentlich Mieczyslow Grochowski, als er und seine Familie von den Nationalsozialisten ins Internierungs- und Arbeitslager Lebrechtsdorf-Potulitz verschleppt wurden. Er hat überlebt. Der heute 83-Jährige teilte mit 120 Oberstufenschülerinnen und -schülern der Ernst-Ludwig-Schule (ELS) seine Erinnerungen.

Einen Tag später hatten auch ca. 150 Eltern, Lehrer, interessierte ehemalige Schüler und weitere Gäste in einer Abendveranstaltung die Möglichkeit, Mieteks Zeitzeugenbericht zu erleben.

Bei der Befragung mit Mietek geht es aber nicht nur um die Weitergabe von Erinnerungen, betonte Neithard Dahlen, Mitglied des Auschwitz-Komitees. Es sei wichtig, den Opfern würdigend zu gedenken, Lehren aus dem Erlebten zu ziehen, allen mit Respekt zu begegnen und gegen Hass und Hetze seine Stimme zu erheben. Die Veranstaltung wurde durch die Anwesenheit von Manfred de Vries, Vorstand der jüdischen Gemeinde in Bad Nauheim, geehrt.

Mietek wurde als jüngstes von acht Kindern am 25. März 1939 im polnischen Pommern geboren. Nach Ausbruch des Krieges versuchten die deutschen Besatzer, Teile der dort lebenden Bevölkerung zu »germanisieren«. Mieteks Vater Josef und sein Großvater lehnten die deutsche Staatsbürgerschaft ab, denn es hätte bedeutet, in der Wehrmacht zu kämpfen und die polnische Identität aufgeben zu müssen. 1943 wurde deshalb die gesamte Familie inhaftiert und in Viehwaggons von Danzig in das KZ Stutthof deportiert. Dort wurde die Familie getrennt. Der vierjährige Mietek, seine zwei Jahre ältere Schwester und seine Mutter kamen in das Lager Lebrechtsdorf-Potulitz.

Mietek erinnert sich noch sehr genau an Hunger, Kälte und Krankheit. Geschlafen wurde auf Strohsäcken, die immer nass waren. Alle Kinder waren ständig erkältet. Zu essen gab es wässrige Suppen, in denen Maden schwammen. Die Mutter schob mit dem Löffel die Würmer beiseite. Die Menschen im Lager wurden von schweren Krankheiten geplagt. Eine medizinische Versorgung gab es nicht.

Auch nach dem KZ wird er isoliert

Mietek erkrankte an Typhus, war drei Tage lang besinnungslos und überlebte nur, weil seine Mutter ihn im Bett versteckte und sich ein Kapo, so nannte man die Funktionshäftlinge in einem Konzentrationslager, dazu entschloss, dies nicht zu bemerken. So konnte er vor der Einweisung in die Krankenstube bewahrt werden, aus der kaum jemand zurückkehrte.

Unauslöschlich in sein Gedächtnis eingraviert ist auch die Angst. Einen Horror hatten er und die anderen Kinder vor einer dicken Impfnadel, die ihnen in die Brust gerammt wurde. Schlimmer noch war aber, als die Mutter für einige Wochen in die Krankenbaracke kam und Mietek und seine Schwester ganz auf sich allein gestellt waren. Er weiß noch, dass sie sich einsam und verwahrlost fühlten wie »herrenlose Hunde«. Die Freude sei unbeschreiblich gewesen, als sie zu ihnen zurückkam.

Im Februar 1945 kam der Befehl, so Mietek, dass jene Kinder, die Verwandte außerhalb des Lagers hatten, Potulice verlassen konnten. Von Wanzen völlig zerbissen, traf er bei seiner Tante ein. Deren Kinder konnten wenig Verständnis für den verstörten Jungen aufbringen. Mietek fühlte sich drangsaliert und isoliert.

Nach weiteren drei Monaten kam auch die Mutter mit den Geschwistern zurück. Seinen Vater sah er nicht mehr wieder. Per Telegramm wurde die Familie darüber informiert, dass er »gefallen« sei. Die Todesursache haben sie nie erfahren. Ihr altes Zuhause in Vorpommern war abgebrannt. Dennoch war die wichtigste Botschaft für die Familie: Wir sind wieder frei.

Nach dem Krieg besuchte Mietek ein Internat und wurde mit 18 Autoelektriker. Er entdeckte seine Leidenschaft für das Angeln und Trompetenspiel. Schließlich trat er dem polnischen Marineorchester bei und schloss sich später einem Zirkus an. Dank seines Berufs kam er in der Welt herum. Er ist Vater und glücklich verheiratet. Aber: »Die Angst begleitet mich immer.«

Mit Trompetenstücken verabschiedete sich Mietek von den Zuhörern, die neben der musikalischen Erinnerung an die toten Kinder von Potulice die Botschaft mitnehmen konnten, dass sich jede und jeder für Mitmenschlichkeit einsetzen sollte. Es gilt, Partei zu ergreifen für all jene, die beleidigt, abgewertet und bedroht werden - jeden Tag.

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