»Antisemitismus hat viele Gesichter«: Uwe Becker in der Bad Nauheimer Synagoge

Hass und Hetze gegen Juden gibt es nach vor. Antisemitismusbeauftragter Uwe Becker hat darüber gesprochen, wie Antisemitismus entgegengewirkt werden kann - und wie er möglichst klein bleibt.
Eine durch Zaun und Poller geschützt Synagoge, davor ein Polizeiwagen. »Bei Veranstaltungen stehen wir immer hier«, erklärt einer der Beamten. Dass sich manch einer schon an das Bild eines Polizeiautos vor der Synagoge gewöhnt habe und es einen nicht mehr aufwühle, sei Teil des Problems - sagt Uwe Becker. Er ist Antisemitismusbeauftragter des Landes Hessen und zu Besuch in der Bad Nauheimer Synagoge.
Mit dabei ist der Vorstand der Jüdischen Gemeinde Bad Nauheim mit Yehuda Azulay, Viatcheslav Ifraimov und Vorsitzenden Manfred de Vries. Auch Bad Nauheims Bürgermeister Klaus Kreß und Britta Weber, Vorsitzende der Gesellschaft für christliche-jüdische Zusammenarbeit Wetterau, sind gekommen, um sich über Antisemitismus und den Kampf dagegen auszutauschen.
Sieben Vorfälle pro Tag
Dass es nach wie vor Antisemitismus gibt, ist für Becker offensichtlich. »Er ist auf unseren Straßen, Wegen und Plätzen - und besiegen können wir ihn wahrscheinlich nicht.« Eine Statistik des Bundesverbands der Recherche- und Informationsstellen Antisemitismus, die am Dienstag veröffentlicht wurde, bestätigt das. Mit knapp sieben Vorfällen pro Tag deutschlandweit bleibe Antisemitismus auf einem hohen Niveau. Daher müsse es darum gehen, den Judenhass zurückzudrängen und klein zu halten, sagt Becker. »Das geht uns alle etwas an.«
»Antisemitismus hat viele Gesichter. Er taucht in allen Schattierungen auf«, sagt Becker. Von verschiedenen Personengruppen, in verschiedenen Formen - mit Worten, Schmierereien, Beleidigungen und Angriffen. »Ich würde mir wünschen, dass die Aufgabe eines Antisemitismusbeauftragten irgendwann zu Ende ist.«
Demonstration an Jom Kippur
Auch in Bad Nauheim musste die jüdische Gemeinde erst vergangenes Jahr Erfahrungen mit Antisemitismus machen. An Jom Kippur, dem höchsten jüdischen Feiertag, hatte in Bad Nauheim eine Demo der »Querdenker« stattgefunden. Die jüdische Gemeinde und die Stadt hatten vergeblich gegen den Termin geklagt. Sie konnten allerdings erwirken, dass bei der Demo ein Mindestabstand zur Synagoge und zum jüdischen Friedhof eingehalten wurde. »So etwas würde es an Weihnachten oder Ostern nicht geben«, sagt de Vries. Das liegt daran, dass diese beiden Feste im Hessischen Feiertagsgesetz enthalten sind. »Wir wünschen uns, dass Jom Kippur in das Gesetz mit aufgenommen wird«, sagt er.
Das jüdische Leben ist laut Becker ein Teil der Identität Hessens. »Vieles, was unser Land heute ausmacht - Wissenschaft, Kultur, Wirtschaft und mehr -, wurde durch das Wirken jüdischer Familien geprägt«, erzählt Becker.
Fehlendes Wissen als Ursache
Antisemitismus wird laut Becker häufig dadurch gefördert, dass schlichtweg Wissen fehlt. »Die meisten Menschen begegnen selten oder nie jüdischem Leben. Das müssen wir ändern.« Dafür nennt er Programme wie »Meet a Rabbi« und »Meet a Jew«, um den Austausch zu ermögllichen. »Viele Kinder kennen das Judentum nicht einmal. Daher gehen wir in Schulen, damit die Kinder überhaupt mal sehen, wie das jüdische Leben aussieht und welche Traditionen es gibt«, sagt Becker. Auch de Vries spricht sich dafür aus, miteinander ins Gespräch zu kommen und Aufklärungsarbeit zu betreiben. Dann würden viele erkennen, dass es einige Gemeinsamkeiten und keinen Grund für Hass gebe, sagt Becker. »Das ist die beste Medizin gegen Antisemitismus.«
INFO: Schutz der Synagoge
In der Bad Nauheimer Synagoge sind deutliche Sicherheitsmaßnahmen installiert worden. Von außen sind Poller zum Schutz vor Autos und ein Zaun zum Schutz vor Eindringlingen sichtbar. Auch innen gibt es weiteren Schutz. Darüber möchte Manfred de Vries aber bewusst nicht sprechen. »Zum Schutze unserer Synagoge.« Da das Gotteshaus von 1928 ist, hatte es zuvor keinerlei Sicherheit. »Ich hatte keine Wahl. Es ging nur ganz oder gar nicht. Von außen sieht die Synagoge nun scheußlich aus. Aber die Maßnahmen sind leider absolut notwendig.«