»Auch Lehrer können mal kräftig danebenliegen«
Bad Nauheim (pm). Manfred de Vries, Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde Bad Nauheim, hat Anmerkungen zum Artikel »Gesellschaftliche Gedächtnisstütze: Vergriffenes Buch von Stephan Kolb erlebt nach 35 Jahren Wiederauflage« (die WZ berichtete am 24. November ) sowie zu den Äußerungen des Autors und der Verlegerin Beatrix van Ooyen:
»Der Artikel über die Wiederauflage des Buches ›Die Geschichte der Bad Nauheimer Juden‹ beweist einmal mehr, dass auch Lehrer kräftig danebenliegen können. So wie Herr Kolb nach dem Tod von meinem Vorgänger, Herrn Mlynarski, die Gemeinde schon als Museum sah. Ja, wir sind im Wetterauer Museum, allerdings als Ausstellung einer beispielhaften, florierenden Gemeinde!
Anders ist es nicht zu erklären, weshalb der Autor, Herr Kolb, mit Blick auf die Bad Nauheimer Juden nicht nur von einer gescheiterten Assimilation spricht, sondern deren Ausbleiben bedauert. Bedeutet das denn, dass er nur assimilierte Juden schätzt? Dass nur solche Juden »gute Juden« sind, die den Vorstellungen des Autors entsprechen? Nur solche, die ihre eigene Identität bis zur Unkenntlichkeit verleugnen und sich bis zur Ununterscheidbarkeit an die Mehrheitsgesellschaft anpassen? Mag sein. Aber damit bliebe von den Bad Nauheimer Juden nichts mehr übrig. Denn ob es dem Autor nun gefällt oder nicht: Jude zu sein bedeutet auch, unterscheidbar zu sein. Religiös und kulturell zumindest.
Alles andere wäre der Aufruf zur Selbstverleugnung und Selbstmord. Der Autor vermisse in der Jüdischen Gemeinde Bad Nauheim deutsche Sprachkenntnisse, Toleranz gegenüber dem Unorthodoxen und Bildung. Welch eine Anmaßung! In welcher Sprache sich die Menschen in der Jüdischen Gemeinde - die übrigens seit Jahrzehnten erfolgreich Deutschkurse für ihre aus den Nachfolgestaaten der Sowjetunion zugewanderten Mitglieder anbietet - geht den Autor nichts an.
Ebenso wenig die religiöse Ausrichtung der Gemeinde, von der er offenbar wenig versteht. Sonst wüsste er, dass es sich um eine Einheitsgemeinde handelt, in der ein jeder, ganz unabhängig von seiner religiösen Ausrichtung, herzlich willkommen ist.
Und schließlich fehlt es Herrn Kolb an Bildung. Wie er das als Nichtgemeindemitglied und entfernter Beobachter beurteilen will, bleibt sein Geheimnis. Die Herausgeberin des Buches, Beatrix van Ooyen ( Anm. d. Redaktion ), stellt in dem Artikel Folgendes fest: »Menschen liefern sich selbst aufgrund fehlenden Wissens noch heute bedenkenlos Vorurteilen aus. Sind sie zu bequem, fehlt ihnen die Intelligenz, sind sie einfach nur böse oder egozentrisch?«
Hätte sie diese Fragen doch nur mit Blick auf den Autor gerichtet, dessen Buch sie nun in Wiederauflage herausgibt. Dann wäre uns Bad Nauheimer Juden manches erspart geblieben.
Manfred de Vries, Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde Bad Nauheim,