Bad Nauheim: Ein Stück (Kunst-)Geschichte - Patrizia Zewe erzählt über das Hotel Europäischer Hof

Künstlerin Patrizia Zewe weiß viel über die Geschichte des ehemaligen Hotels Europäischer Hof zu erzählen. Diese ist gleichzeitig auch mit ihrer Familiengeschichte verwoben.
Villa de l’Europe« steht in roten Lettern auf einem schwarzen Teppich. Es ist das Erste, was ins Auge fällt, wenn man einen Teil des ehemaligen Hotel »Europäischer Hof« in der Stresemannstraße 5 in Bad Nauheim betritt. Auf den zweiten Blick fallen zahlreiche bunte Kunstwerke auf, die an der gelben Wand im Eingangsbereich hängen. Auch die Wände im Treppenhaus sind voll damit. Viele davon hat die Künstlerin Patrizia Zewe gemalt, die im zweiten Stock wohnt. Wie ihr Leben ist auch ihre Familiengeschichte mit dem Gebäude verwoben.
»Meine Großmutter hat diesen Teil 1958 gekauft«, sagt Zewe. Ihre Großmutter, das war Christine Pfeffer vom gleichnamigen Modehaus. Mit »diesen Teil« meint Zewe das Gebäude, in dem unter anderem das Café »Creme de la Creme« untergebracht ist. Seitdem ist es in Familienbesitz, zuletzt verwaltet von Zewe und ihren Söhnen. Schon länger spielte sie mit dem Gedanken, es zu verkaufen. Das hat sie kürzlich, an einen Friedberger.
Europäischer Hof in Bad Nauheim: Nobelpreisträger zu Gast
»Das Hotel war früher zweiteilig«, erläutert Zewe. Ein Teil des großen Anwesens ging zur Kurstraße, wo heute das Boutique-Hotel K7 an vergangene Salonzeiten anknüpfe, diesen Teil habe Pfeffers Freundin erworben. Zusammen mit Brigitte Faatz vom Stadtarchiv hat Zewe die Geschichte des Hotels recherchiert. Das Ergebnis können Spaziergänger, Kurgäste und Einkaufswillige von der Stresemannstraße aus lesen: Beim Einbiegen in den Hof des Hauses kommen sie an einer Info-Tafel an der Wand vorbei.
Diese verrät, dass dort 1920 Chemiker und Nobelpreisträger Otto Hahn während eines Kongresses wohnte. Expressionist Emil Nolde war in den 1920ern als Kurgast in Bad Nauheim und verkehrte im »Europäischen Hof«, ebenso wie Meistergeiger Yehudi Menuhin in den 40er Jahren. Die Geschichte des Hotels sollte sich jedoch ändern: Während des Zweiten Weltkriegs diente das Gebäude als Lazarett, danach wurde dort das Frankfurter Hospital »Heiliger Geist« mit einer Geburts- und Frauenklinik einquartiert.
Europäischer Hof in Bad Nauheim: Elemente des Jugendstil
Patrizia Zewe schätzt, dass der Komplex vor 1900 erbaut worden sein muss. Das Geländer im Treppenhaus und die Balkongitter zeugen vom Jugendstil. Laut Zewe waren unter dem Dach die Bediensteten des Hotels untergebracht. »Zu der Zeit ohne fließendes Wasser, ohne Toiletten«, sagt sie. Die Wohnkammern sind heute noch erhalten, fungieren als Dachboden.
In anderen Etagen habe es lange Flure mit großen hellen Salons gegeben, eine Art Lobby und elegant eingerichtete Lesezimmer hätten sich im Erdgeschoss beim Eingang befunden. Die großen Loggien sind zum Hof ausgerichtet, erläutert Zewe, denn bis 1958 ging der Blick in den grünen Hotelgarten mit Bänken und einem Springbrunnen.
Europäischer Hof in Bad Nauheim: Zewe zieht um nach Düsseldorf
Als das Gebäude an Zewes Familie ging, wurden Wohnungen und ein Ärztehaus mit drei Praxen daraus. Nach dem Tod ihrer Mutter 2006 übernahm Patrizia Zewe das Haus und zog von München aus die Fäden, wie sie sagt. »Als ich 2019 zurückkam, dachte ich, das wird mein Alterssitz.«
Doch es sollte anders kommen. Die Pandemie und das Nichtmehrwegkönnen hätten sie sehr belastet, denn ihre Söhne und Enkelkinder wohnen in Düsseldorf. »Ich wollte näher an die Familie rücken.« Und so ist der Umzug für Anfang März geplant. Es wird ihr 33. sein. »Ich bin im Herzen Nomadin«, sagt Zewe. »Ich ziehe lieber um, als dass ich verreise.«
Europäischer Hof in Bad Nauheim: Käufer auf Flohmarkt kennengelernt
Eigentlich wollte sie in Düsseldorf eine Wohnung mieten. Doch das war wegen ihren beiden Hunde Prinzi und Presley nicht möglich - nirgends waren sie erlaubt. Zewe war es vor allem wichtig, genug Platz für ihr Atelier zu haben, das sich jetzt noch in ihrer Bad Nauheimer Wohnung befindet. Ein Makler bot ihr einen großen Raum mit Atelierfenstern und zwei kleineren Zimmern an. »Ich nehm’s«, sagte Zewe schon an der Tür zur Wohnung, und konnte so dem Interessenten grünes Licht für den Kauf des ehemaligen »Europäischen Hofes« geben. »Das ist auch eine irre Geschichte, wie der Kontakt zustande kam«, sagt Zewe. Der zukünftige Käufer, ein Friedberger, sei über einen ihrer Charity-Flohmärkte im Hof geschlendert. »Ein wunderschönes Jugendstilgeländer, was für ein interessantes Gebäude«, habe er gesagt. Ohne sich als die Verkäuferin erkennen zu geben, sagte Zewe: »Ich habe gehört, es soll verkauft werden.«
Europäischer Hof in Bad Nauheim: »Sechser im Lotto«
Etwas später sprach die Künstlerin mit ihrem Berater über einen möglichen Verkauf. Der sagte: »Wenn Sie verkaufen wollen, ich habe jemanden.« Es war der Friedberger. »Das hat total gepasst«, sagt Zewe. Ihr gefalle, dass der Käufer ebenfalls kunstinteressiert sei und die Ausstellungen im Innenhof in Kooperation mit dem Café »Creme de la Creme« weiterführen wolle.
»Genau so will ich’s«, habe er bei Besichtigung des Gebäudes gesagt. Patrizia Zewe findet: »Das ist in der heutigen Zeit ein Sechser im Lotto.«
Offenes Atelier:
Patrizia Zewes Umzug nach Düsseldorf steht unmittelbar bevor. »Anfang März ist Übergabe und Umzug«, sagt sie. Mit ihrer neuen Atelierwohnung in Oberkassel möchte sie sich verkleinern. »Es kommt nicht alles mit«, sagt sie über die Gemälde, Kleidungsstücke, Schuhe, Accessoires und Möbel, die in ihrer Wohnung in Bad Nauheim stehen. Deshalb möchte sie an diesem Wochenende noch einmal ihr Atelier unter dem Motto »Kunst trifft Klamotte« öffnen. Dabei zeigt die Künstlerin ihren Fundus aus Secondhandoutfits und Unikaten aus TV- und Theaterproduktionen, die sie früher als Stylistin in Schwabing über die Jahre angesammelt hat. Dabei gibt es bunte Einzelstücke im Verbund mit Kunst. Zewe hat auch passende Bilder zu einigen Kleidungsstücken. Gefällt den Gästen etwas, können sie es für einen selbst gewählten Preis kaufen - ein Teil davon wird gespendet. Für Zewe ist das offene Atelier gleichzeitig auch eine Art Abschied, auch wenn sie plant, Bad Nauheim oft zu besuchen, »spätestens zu jedem Elvis-Festival«.
Öffnungszeiten: Samstag, 18. Februar, ab 17 Uhr und Sonntag, 19. Februar, ab 15 Uhr in der Stresemannstraße 5.