Bad Nauheim: Unmut wegen Friedhof-Vorgaben

Der 84-jährige Franz M. (Name geändert) verzweifelt langsam, weil laut Behördenpost sein Familiengrab angeblich ungepflegt ist. Verläuft auf Bad Nauheimer Friedhöfen alles verhältnismäßig?
Auf dem Grabstein ist nicht alles lesbar, weil eine Zypresse Teile der Schrift verdeckt, Krokusse sprießen schon. Eins der drei Gehölze, die auf dem Viereck stehen, ist an der Seite deutlich zurückgeschnitten. Schon im Sommer vergangenen Jahres reagierte Franz M. (Name geändert) auf einen Hinweis, wonach ein Gewächs zu breit sei. Sein ältester Sohn aus der Großstadt half dem Nieder-Mörler dabei, den Busch zu halbieren. Ein Rhododendron steht seit mindestens 20 Jahren außerhalb der Einfassung. Franz M. konnte bisher aber nicht klären, ob das der Grund ist, weswegen er immer wieder Post bekommt.
In einer Stofftasche trägt M. einen Stapel Papier mit sich, der den Briefwechsel zwischen ihm und der Friedhofsverwaltung dokumentiert. So wie er kämpfen diverse andere Besitzer von Gräbern auf Bad Nauheimer Friedhöfen um ihre Belange. Das Amt verlangt beispielsweise, Sträucher auf 1,20 Meter Höhe zurückzustutzen und alles »ordnungsgemäß« herzustellen (diese Zeitung berichtete).
Seit Juni viermal Post bekommen
Das Grab der M.s ist nicht top gepflegt, aber auch nicht verwahrlost. So wie es ein 84-Jähriger eben noch kann, der Rentner und weitgehend allein ist. »Es geht mir nicht um Kosten«, sagt er. Er hat seine Frau und den jüngsten Sohn auf dem Friedhof in Nieder-Mörlen bestattet. Beide starben jung an der gleichen Krankheit, sie mit 35, der Sohn mit 38. Die Pflanzen, die Franz M. hinsetzte, begleiteten seine Lieben all die Jahrzehnte. Nun bekam er seit Juni viermal Post von der Friedhofsverwaltung, wonach der Zustand des Grabes »nicht ordnungsgemäß« sei.
Der Mann antwortete, rief mehrfach an, suchte sogar das Gespräch vor Ort. Er habe den Verwalter aber nicht angetroffen und nie Antwort bekommen. Abgesehen von dem standardisierten Schreiben, wonach er »ordnungsgemäßen Zustand« wegen Gehölzen herstellen solle, die zu groß seien. Die Möglichkeit, eine Nutzungsverzichtserklärung auszufüllen, hängt der Behördenpost immer an. Den alten Mann macht das wütend.
Augenmerk auf Verkehrssicherungspflicht
Diese Zeitung hakte bei Bürgermeister Klaus Kreß nach. »Es ist zweifelsohne so, dass Friedhof immer eine hochsensible Angelegenheit ist, denn da liegen Menschen, die einem lieb waren«, sagt er. In Bad Nauheim und den Stadtteilen gibt es seinen Worten zufolge 8500 Grabstätten. »Da ist es Aufgabe der Friedhofsverwaltung, auf Dinge hinzuweisen, die nicht satzungskonform sind. Über allem steht die Verkehrssicherungspflicht.«
Nicht immer geht die Initiative laut Kreß dabei von der Friedhofsverwaltung aus. »Sondern es ist so, dass sich andere dort melden und die Verwaltung auffordern, einzuschreiten.«
Auch Unmut in Schwalheim
Bei dem kleinen Teil angeschriebener Personen, die sich wehren, kommt es nach Ansicht von Kreß auf die Ansprache an. »Die sollte sensibel, menschlich und wertschätzend sein.« Mit dem Holzhammer geht die Stadt seiner Meinung nach nicht vor, er verweist auf Schriftverkehr und Handreichungen. Wollten »wenige Einzelfälle« die Vorgaben nicht erfüllen, könne es nicht Sache der öffentlichen Hand sein, zu sagen: »Dann machen wir mal nichts.« Das auch, weil es laut Kreß die anderen Grabinhaber gibt, die sich an die Regeln halten. Er dankt den »99 Prozent« Grabinhabern, »die ihr Grab in einem gepflegten und ordentlichen Zustand halten«. Diejenigen, die es selbst nicht können, müssten sich Hilfe holen. »Das Gesamterscheinungsbild des Friedhofs ist uns wichtig«, betont der Bürgermeister. In strittigen Fällen empfiehlt Kreß Kommunikation, »das persönliche Gespräch wäre sicher hilfreicher«. Was das angeht, »will ich auch gar nicht sagen, dass das immer alles fehlerfrei läuft«.
Ortswechsel mit Blick auf den Friedhof von Schwalheim; auch von dort meldete sich ein Grabbesitzer. Karsten S. (Name geändert) soll eine Eibe stutzen, was er nicht einsieht, denn das Grab ist gepflegt und das Gewächs ein Blickfang. Karsten S. stört sich unter anderem aus ökologischen Gründen an der Kahlheit des sehr aufgeräumten Friedhofs mit seinen niedrigen Hecken. Ob die Satzung mitsamt der heutigen Bestattungsformen noch zeitgemäß ist, will der Ortsbeirat der Kernstadt nun thematisieren.
Mehr Empathie gefordert
Für klärungsbedürftig hält der Ortsbeirat der Bad Nauheimer Kernstadt die Beschwerden von Bürgern zu Vorgaben der Friedhofsverwaltung. Wie Ortsbeiratsmitglied Dr. Wolfgang Hammann (FW) jüngst erklärt hat, wirke die Vorgehensweise teilweise nicht sehr empathisch. Erik Meyer (FW) schlug vor, beim Magistrat anzuregen, sensibler mit dem Thema umzugehen. Wie Steffen Mörler (CDU) einwandte, halte sich die Verwaltung schlicht an die Satzung - welche die Stadtverordneten beschlossen hätten. »Den Schuh müssen wir uns schon anziehen«, sagte er. Das Gremium will dem Magistrat vorschlagen, den Ortsbeirat bei künftigen Überlegungen zur Satzung zu informieren, um mehr Bürgernähe herzustellen. Laut einem Zuhörer ist bei der Stadt ein einziger Mitarbeiter allein für sämtliche Friedhöfe zuständig, was überfordernd sei. »Da muss eine Etage höher etwas passieren«, meinte der Mann. Bürgermeister Klaus Kreß widerspricht dem gegenüber dieser Zeitung: »Von einer Überforderung kann keine Rede sein.«