Bad Nauheimer Pionier: Groedel wusste, was gesund macht

Vor 130 Jahren erschien die sechste Auflage des Buches »Führer durch Bad-Nauheim von Weiss und Groedel« Dr. med. Isidor Maximilian Groedel hat darin die Kuranwendungen beschrieben.
Isidor M. Groedel war als Pionier der Balneologie bekannt. Bereits mit 25 Jahren praktizierte er in Nauheim. Er führte die in den 1850er Jahren erfolgreichen Bäderanwendungen seines Lehrmeisters Friedrich Wilhelm Beneke (1824 - 1882) fort. Als Kaiserin Auguste Victoria während ihres Kuraufenthalts 1912 in der Badestadt weilte, war er ihr Leibarzt und genoss hohes Ansehen.
In dem »Führer durch Bad-Nauheim von Weiss und Groedel« aus dem Jahr 1893 beschreibt Groedel nicht nur die Art der in Nauheim verabreichten Bäder, sondern auch ihre Wirkung bei unterschiedlichen Indikationen: »Soolbäder, Thermalsoolbäder, Sprudelbäder, Strom- und Sprudelstrombäder, Douchebäder, Sitzbäder, Electrische Bäder, Kaltwasserkastenbäder sowie Inhalationen« bei Rheuma, Gicht, Herzleiden, Frauenkrankheiten, Rachitis und Rückenmarksbeschwerden. Das liest sich manchmal amüsant, zeigt aber, wie fortschrittlich der Mediziner dachte. Es war wichtig, Beweise zu liefern, damit eine Methode wissenschaftlich Anerkennung fand.
Das Gehvermögen wiederhergestellt
Die meisten Menschen kamen mit Rheumatismus und Gicht, was häufig ein Herzleiden nach sich zog. Oft waren die Patienten schon in anderen Badeorten gewesen, aber erst Nauheim brachte den Erfolg. Der Grund: Die Reizmomente der Bäder waren mannigfaltiger, die Sole stärker, und es gab kaum Kontraindikationen.
So schildert Groedel die Geschichte eines 16-Jährigen, der mit schweren Herzproblemen im »Fahrstuhl« anreiste. Im Laufe von vier Jahren mit jeweils sechswöchigen Badekuren war der Junge so wiederhergestellt, dass er wieder als Kaufmann arbeiten konnte.
»Seit 1868 sind die kohlensäurehaltigen Thermalsoolbäder bei Krankheiten des Rückenmarks erfolgreich«, schreibt Groedel in einem Kapitel. Das Gehvermögen wurde selbst in schweren Fällen wiederhergestellt. Ausführlich schildert er, mit welchen Konzentrationen und wie häufig die Bäder verabreicht werden mussten, etwa bei Ischiasneuralgie und Nervosität.
Groedel sah eine manchmal mehrere Monate dauernde Kur in Nauheim ganzheitlich und individuell. So riet er, sich während dieser Zeit »möglichst frei von allen häuslichen und geschäftlichen Sorgen« zu machen. Er schreibt: »Wenn man sieht, wie zuweilen der Beamte mit ganzen Stössen von Acten einrückt oder die fürsorgliche, gar zu pflichttreue Hausfrau sich alltäglich über den Gang der Haushaltung berichten lässt, muss man sich nicht wundern, wenn der Erfolg der Kur nicht ganz den gehegten Erwartungen entspricht.«
Vor aufregendem Kartenspiel gewarnt
Er achtete auch auf die Lebensweise: »Frisches Obst und Gemüse. Sind Alcoholica nöthig, so gebe man lieber Cognac in Wasser.« Aufregende Kartenspiele und Tanzen seien sehr schädlich für Herzkranke, aber Zerstreuung mitunter besser als Ruhe. Vor allem an einer angenehmen Wohnung während des Kuraufenthalts solle man nicht sparen. Außerdem gibt er Tipps für die Zeit nach der Kur.
Aus der Badeordnung geht hervor, dass die Badehäuser mit damals 196 Badezellen von 6 bis 13 Uhr und von 14 bis 18 Uhr geöffnet waren. Dafür musste man sich für eine bestimmte Badezeit eintragen. Kam man mehr als zehn Minuten zu spät, musste man auf eine freie Zeit warten. Die Badebedienung durfte keine Trinkgelder fordern und hatte nur ganz bestimmte Aufgaben zu erfüllen.
Für ein Tempolimit im Stadtgebiet
Übrigens gehen die »weißen Servietten«, die über die Fußmatten gelegt werden, laut einem Aufsatz von Britta Spranger aus dem Jahr 2009 auch auf den im Kurverwaltungsausschuss tätigen Geheimrat zurück. Die Forderung wurde wegen des hohen Waschaufwands zunächst abgelehnt, hatte aber später die Dampf-Waschanstalt am Goldstein zur Folge.
Auch beim Bau der Badeanlagen im Sprudelhof war Groedels Expertise geschätzt. Er regte bei dem jungen Architekten Wilhelm Jost an, die Badezellen gleichartig zu möblieren. Aus seiner Erfahrung wusste er, dass direkte Sonneneinstrahlung die Badezellen aufheizte. Daher setzte Jost die heute so bewunderten farbig gestalteten Fenster ein. Auch die Messingklappschilder an den Zellentüren gehen auf Groedels Anregung zurück. Er befürwortete sogar ein Tempolimit im Stadtgebiet.
Beim Erscheinen dieses Buches 1893 zweifelte laut Groedel »kaum noch Jemand daran (Anm. d. Red.: an der Bedeutung der Bäder für die Behandlung von Herzleiden), namentlich kein Arzt, der an einer Anzahl eigener Patienten den Einfluss der Nauheimer Kur erprobt hat.«
Zur Person: Isidor Maximilian Groedel
Isidor Maximilian Groedel wurde am 24. Dezember 1850 in Friedberg geboren und besuchte das Gymnasium in Darmstadt. Als er Leibarzt der Kaiserin Auguste Victoria wurde, konvertierte er, »einer Cabinets-Ordre« folgend, vom jüdischen zum protestantischen Glauben. 1920 wurde er zum Ehrenbürger der Stadt ernannt. Von dem jungen Wilhelm Jost war er als Mensch und Architekt so überzeugt, dass er auch privat mit ihm zusammenwirkte und sich 1908 neben seinem großzügigen Wohnhaus in der Terrassenstraße ein damals hochmodernes Sanatorium bauen ließ. Der Geheimrat starb am 8. April 1921. Auf dem Friedhof in Bad Nauheim befindet sich die Grabstätte der Familie.