Corona-Demos: »Der Kampf um die Köpfe«

Nicht alle, die querdenkend, trötend oder trommelnd durch die Straßen ziehen, sind Rechtsextremisten. Ein Teil aber schon. In Bad Nauheim wurde über »Demokratie in Gefahr« diskutiert.
Wer marschiert da eigentlich durch die Stadt, wenn Querdenker zum Corona-Protest aufrufen? Sie habe bei den Demos »keine Rechtsextremisten wahrgenommen«, sagte eine Dame am Mittwochabend während der Diskussion zum Thema »Demokratie in Gefahr?« im Theater am Park. Das ist nicht verwunderlich, die rechte Szene hat sich längst neu aufgestellt. Ging es der »Alten Rechten« um den »Kampf um die Straße«, fokussiere sich die »Neue Rechte« auf den »Kampf um die Köpfe«, sagte Sven Daniel vom Kompetenzzentrum Rechtsextremismus (KOREX) beim hessischen Landesamt für Verfassungsschutz. Die neuen Rechten tragen keine Glatzen, sind Akademiker und stützen sich statt auf Hitler auf die »Konservative Revolution« während der Weimarer Republik.
Die Bad Nauheimer Initiative »Demokratie schützen« und die Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit hatten zu der Diskussion eingeladen. Dem Vortrag des Verfassungsschützers schloss sich eine Fragerunde an. Auskunft gaben der Politologe Lennart Biskup vom Polizeipräsidium Mittelhessen, die Leiterin der Polizeidirektion Wetterau Antje van der Heide, Erster Stadtrat Peter Krank sowie Andreas Balser von der Antifa-BI.
»Ich hasse die Demokratie wie die Pest.« Ein Zitat des Schriftstellers Ernst Jünger. Nicht weniger befremdend ist, wenn der Staatsrechtler Carl Schmitt, der »juristische Stichwortgeber der Nazis«, feststellte, zur Demokratie gehöre notgedrungen auch »die Ausscheidung oder Vernichtung des Heterogenen.« Schmitt, Jünger und andere Denker seien als Vertreter der »Konservativen Revolution« die geistigen Bezugspersonen der Neuen Rechten und der Identitären Bewegung. Daniel: »Ihr Ziel war ein aristokratischer, diktatorischer Staat.« Ihre demokratiefeindlichen Ideen würden von Leuten wie dem Verleger Götz Kubitschek auf populäre Weise verbreitet.
Rechte Verbindungen in die Wetterau
Andreas Balser, einziger nicht-staatlicher Vertreter auf dem Podium, wies später daraufhin, dass diese rechte Kaderschmiede enge Bande mit Bad Nauheim habe: Der hier lebende AfD-Landtagsabgeordnete Andreas Lichert sei eine »zentrale Schnittstelle«.
Kritik sei in einer Demokratie nicht nur erlaubt, sondern erwünscht, sagte Daniel. Auf den Demos sei es aber um die Verächtlichmachung demokratischer Strukturen und öffentlicher Personen gegangen. Da ist die Grenze zur Straftat nicht weit. Aus dieser Bewegung bildeten sich Chatgruppen, deren Mitglieder die Entführung von Gesundheitsminister Lauterbach planten.
Politiker erhalten Drohbriefe, Fackelmärsche ziehen zur Einschüchterung vor ihren Häusern auf. 2021 stieg die Zahl der politisch motivierten Kriminalität auf einen Höchststand. 16 Prozent der Straftaten stehen im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie. Und: Es gibt eine hohe Zahl von Straftaten, die nicht dem linken oder rechten Spektrum zuzuordnen sind. Was zur Beobachtung passt, dass viele Demo-Teilnehmer aus dem bürgerlichen Lager »oder dem spirituellen Milieu« stammen.
Der kleinste gemeinsame Nenner der Demonstranten laute »Dagegen sein«, sagte Daniel. Russischer Angriffskrieg, Inflation, Energiekrise, Klimawandel, Corona, Flüchtlinge: Das alles sei relevant für das kommende Versammlungsgeschehen, sagte Antje von der Heide in der anschließenden Diskussionsrunde.
Die Meinungsfreiheit werde hoch geschätzt, sagte Biskup. Was ihm Sorgen bereitet, ist der Grad der Radikalisierung vieler Menschen, etwa wenn die Bundesregierung mit einer Diktatur gleichgesetzt werde oder Verschwörungserzählungen kursierten.
Turbulent wurde es, als sich Teilnehmer von Montagsdemos zu Wort meldeten. Vereinbart war eine Fragerunde. Fragen wurden aber erst auf mehrmaliges Nachbohren von Moderatorin Cornelia Wenk (»Demokratie leben«) gestellt, stattdessen wurde die »Ausgrenzung« von Nichtgeimpften beklagt. Ein Mann wollte wissen, »wer der Zeitung Informationen gibt«. »Die Presse macht sich selbst ein Bild«, sagte van der Heide. Was offenbar nicht allen Montagsdemonstranten gefällt.
Was die AfD mit Nazis zu tun hat
Ein Bad Nauheimer kritisierte die Stadt für die Genehmigungen der Demos. Kress stellte klar: Als Ordnungsdezernent müsse er neutral sein und dafür sorgen, dass die Demos stattfinden. Als Privatperson könne er es »nicht respektieren, dass sich die rechte Szene auf unseren Straßen bewegt.« Ein AfD-Mitglied fragte: »Was haben wir mit Nazis zu tun?« Sven Daniels Antwort: »Mein Wunsch wäre, dass die demokratisch tickenden Mitglieder die Rechtsextremisten aus der Partei drücken.«