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»Der Mensch ist zur Freiheit verurteilt«

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Von: Gerhard Kollmer

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Dr. Jens Rometsch Referent © Gerhard Kollmer

Bad Nauheim (gk). Erstes theoretisches Hauptwerk des Schriftstellers und Philosophen Jean-Paul Sartre (1905 bis 1980) ist die im Kriegsjahr 1943 - als der Norden Frankreichs noch unter deutscher Besatzung stand - in Paris erschienene voluminöse Abhandlung »Das Sein und das Nichts. Versuch einer phänomenologischen Ontologie«. Eine erste deutsche Teilübersetzung erschien 1952 in Hamburg.

Bis zu seiner Hinwendung zum Marxismus um 1960 bestimmt vor allem das - von seiner Begegnung mit der »Existenzialontologie« Martin Heideggers in den 1930er Jahren geprägte - argumentative Kernstück von »Das Sein und das Nichts« Sartres eigenes Denken und den philosophischen Diskurs in der französischen Geisteswelt. Hier entwickelt er seine Theorie absoluter Freiheit, die einen radikalen Bruch mit klassischen Freiheitstheorien (zum Beispiel Kants und Hegels) vollzieht.

Für all jene, denen die verwickelten Thesen von »Das Sein und das Nichts« zu große Verständnisschwierigkeiten bereiteten, veröffentlichte Sartre 1946 seinen Essay »Der Existenzialismus ist ein Humanismus«, der aus einer im Oktober 1945 gehaltenen öffentlichen Vorlesung in Paris hervorging. Im Zentrum dieses eingängigen Textes steht der programmatische, häufig zitierte Satz: »Der Mensch ist zur Freiheit verurteilt«.

Dr. Jens Rometsch, seines Zeichens Privatdozent an der Friedrich-Wilhelms-Universität zu Bonn, war am Freitag nach Bad Nauheim geeilt, um einer zahlreich erschienenen Hörerschaft im Rahmen der »Philosophischen Reihe« die Theorie absoluter Freiheit - das schlagende Herz von Sartres philosophischem opus magnum - in einem konzisen, anspruchsvollen, trotzdem verständlichen Referat nahezubringen.

An einer Stelle schreibt Sartre: »Der atheistische Existenzialismus, den ich vertrete, erklärt: Wenn Gott nicht existiert, so gibt es zumindest ein Wesen, bei dem die Existenz der Essenz vorausgeht, das heißt, ein Wesen, das existiert, bevor es durch irgendeinen Begriff definiert werden kann.

Dieses Wesen ist der Mensch.« Aber was heißt: Die Existenz (das nackte Dasein) des Menschen geht seiner Essenz (dem Sosein) voraus? Sartre begreift den Menschen als Wesen, das als »unbeschriebenes Blatt« in die Welt »hineingeworfen« wird. Seine »Bestimmung« besteht darin, dieses leere Blatt, das er ist, mit seinem eigenen »Text« zu beschreiben, das heißt, sich selbst (immer wieder aufs Neue) zu »entwerfen«.

Mensch ist Summe seiner Taten

Deshalb ist der Mensch für Sartre »nichts anderes, als wozu er sich macht« - die Summe seiner Taten und Unterlassungen. In einem Universum ohne vorgegebenen Sinn lebend, ist ER ganz allein für sich verantwortlich und kann diese Verantwortung auf keine genetische, psychische oder sozialökonomische (wie es der Marxismus tut) Prägung »abschieben«.

Gerade das totale Freisein von jeglicher kausaler Vorprägung (»Wir sind zur Freiheit verurteilt«) setzt uns Menschen - so Sartre - instand, aus diesem Nichts, das wir sind, ein frei gewähltes, selbstbestimmtes Etwas zu machen.

Sich auf eine immer wieder neue Zukunft hin (die als leeres Nichts vor uns steht) »entwerfen«: Darin besteht für Sartre - so Dr. Rometsch in seinen luziden Ausführungen - die »condition humaine«.

In der dem mit viel Beifall aufgenommenen Vortrag folgenden Gesprächsrunde wurde der Kant’sche Begriff von Freiheit als Autonomie bzw. Selbstgesetzgebung dem Sartre’schen Begriff totaler Freiheit gegenübergestellt. Gefragt wurde, ob Sartres Bild vom Menschen nicht auf einer Verkennung der (Alltags-)Realität beruht. FOTO: KOLLMER

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