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Deutsches Brot, persischer Tee

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Von: Sabrina Dämon

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In ihren ersten Jahren in Deutschland hat Mahnaz Jafary kaum gesprochen, erzählt sie. Weil sie in der neuen Sprache unsicher war. Und weil sie eine schlechte Erfahrung gemacht hat. Davon erzählt sie in »Die stumme Nachtigall«. © Sabrina Dämon

Mahnaz Jafary hat in dem Buch »Ausgewudert« über ihre erste Zeit in Deutschland geschrieben. Von Momenten, die zum Lachen sind, aber auch von traurigen Situationen.

Die ersten drei, vier Jahre hat Mahnaz Jafary kaum gesprochen. Es war in den 90er Jahren. In Teheran steigt die damals 31-Jährige mit ihrem Baby auf dem Arm in ein Flugzeug nach Deutschland. Das Land, in dem bereits ihre Schwestern leben, soll die neue Heimat von Mahnaz Jafary und ihrem Sohn werden. Doch der Anfang ist schwer. Vor allem die Sprache. Ihre Geschichte im Buch »Ausgewundert« trägt deswegen den Titel »Die stumme Nachtigall«. So, schreibt sie, hat ihr Mann sie genannt. »Um das besser zu verstehen, muss ich eine Geschichte erzählen.«

Mahnaz Jafary ist eine von sechs Frauen, die an dem Buch als Autorinnen mitgearbeitet haben - und ihre Geschichten vom Ankommen erzählen. Zuerst, erzählt sie, wollte sie nicht schreiben. »Ich wusste nicht, ob ich schreiben kann.« Sie fing trotzdem an. »Es hörte nicht auf, bis ich irgendwann nicht mehr konnte.«

Schreiben ist anders, als sich bloß zu erinnern oder über damals zu sprechen. »Ich konnte die unangenehmen Momente nicht ausblenden.« Als ihr Text fertig gewesen sei, habe sie sich dennoch erleichtert gefühlt. »Ich schreibe, weil es mir guttut, weil meine Geschichte für andere Menschen interessant ist, weil ich denke, es gibt Dinge in Bezug auf das Leben von Migranten in Deutschland, die unbedingt thematisiert werden müssen, zum Beispiel unterschiedliche Biografien, Schwierigkeiten auf Grund von Ausgrenzung, unterschiedliche Lebensarten und viele andere Themen.«

Von Ausgrenzung kann Mahnaz Jafary viele Geschichten erzählen. Eine davon ist »Die stumme Nachtigall«.

Sie beginnt an einem Herbsttag in den 90ern in Bad Nauheim. Mahnaz Jafary hat vergessen, Brot zu kaufen. Sie muss zum Bäcker, wenn auch widerwillig. Denn eigentlich kauft sie in ihrer ersten Zeit in Deutschland nur im Supermarkt ein. Dort »muss man nicht reden. Du nimmst die Ware, sagst an der Kasse ›Guten Tag‹, bezahlst, dann sagst du ›auf Wiedersehen‹, fertig.« In kleinen Läden jedoch sind die Waren nicht erreichbar, ohne sprechen zu müssen. »Und das muss sehr schnell und perfekt passieren. Die Leute arbeiten so schnell und stressig, als müssten sie vor einer Katastrophe fliehen.«

Mahnaz Jafary legt ihr Baby in den Kinderwagen und macht sich auf den Weg. Vor der Bäckerei ist eine Schlange. Das gibt ihr genug Zeit, sich ein Brot auszusuchen. Sie entscheidet sich für ein kleines, wie es heißt, kann sie nicht erkennen, das Schild ist zu klein. Den Moment, als sie an die Reihe kommt, beschreibt sie in ihrem Text:

Die Frage der Verkäuferin geht wie ein Pfeil an meinem Ohr vorbei. Ohne sie zu verstehen, zeige ich auf das Brot und sage: »Das, bitte.«

»Welches?«

»Das, bitte.«

»Dieses?«

»Nein, das, bitte.«

Die Verkäuferin nimmt ungeduldig zwei riesige Brote in die Hand, und als ihr Gesicht vor Wut rot wird, fragt sie mich mit lauter Stimme: »Dieses oder dieses?« entmutigt zeige ich mit dem Finger auf das Brot in ihrer rechten Hand und antworte: »Das, bitte.«

Als sie das riesige Brot zügig in ein Stück Papier einpackt und kassiert, sagt sie: »In Deutschland hat jedes Kind einen Namen und jedes Brot…« Ich verstehe sie nicht mehr und das ist gut so. Die Situation ist ziemlich peinlich für mich.«

Auf dem Heimweg, erzählt Mahnaz Jafary, geht sie die Situation in unzähligen Varianten im Selbstgespräch durch. Was sie hätte sagen können.

Zu Hause »genieße ich mein deutsches Brot mit persischem Tee«. Danach schreibt sie einen Brief an ihren Mann, der erst später nach Deutschland kommen wird: »Die deutsche Sprache ist sehr schwer, aber das deutsche Brot schmeckt hervorragend.«

Mit der Zeit lernt Mahnaz Jafary die Sprache, macht eine Ausbildung als Krankenschwester, unterhält sich oft mit Patienten. Heute, sagt sie, ist die deutsche Sprache Teil ihrer Identität. Fürs Schreiben habe sie sich die Kenntnisse über beide Sprachen - das »poetische Farsi und das logische Deutsche« - zunutze gemacht. Sie lächelt. »Ich bin immer begleitet von einer Mischung aus Orient und Okzident. Auch zu Hause praktiziere ich beide Kulturen.« Die Beschäftigung mit anderen Kulturen sei ohnehin wichtig. »Unbekanntheit und Fremdheit machen jedem Menschen Angst.« Dabei sei es viel einfacher, aufeinander zuzugehen, miteinander zu sprechen, statt Vorurteile zu haben. »Vielfalt und Diversität macht das Leben schöner.«

»Ausgewundert« ist ein Buch übers Ankommen und übers Wundern. Sechs Frauen erzählen darin die Geschichten ihrer ersten Tage und Wochen im neuen Leben in Deutschland. Auf die Idee, die Lebensgeschichten der Frauen festzuhalten, kam Angela Klein, Deutsch-Dozentin in der Erwachsenenbildung. Sie lernte die Frauen im Deutschkurs kennen und konnte sie dazu motivieren, die Geschichten zu schreiben.

Eine Geschichte von Mahnaz Jafary trägt den Titel »Die stumme Nachtigall«. In der persischen Literatur ist die Nachtigall zudem das Symbol der Liebenden, schreibt Jafary. »Das romantische Bild von Rose und Nachtigall ist in den meisten persischen Miniaturen zu sehen.« Auch auf dem Buch-Cover von »Ausgewundert« ist ein solches Bild. Es ist eine Zeichnung von Mahnaz Jafary. Die Rose besteht aus arabischen Schriftzeichen, die transkribiert das Wort »Bulbul« darstellen: Farsi für Nachtigall. Jafary hat 2019 die Gruppe »Initiative bunte Frauen Wetterau« gegründet. Die Gruppe besteht aus Frauen aus aller Welt. Jafary leitet sie und organisiert Projekte. 2021 wurde sie in den Ausländerbeirat in Bad Nauheim gewählt.

Hier ein Auszug aus ihrem Text:

Es ist Sommer 1993. Seit einer Woche bin ich in Frankfurt. Gestern kündigte sie (die Schwester, Anm. d. Red.) an, dass wir heute zum Mainuferfest fahren wollen. Oh, wie toll. Endlich kann ich den Main sehen. (...) Es ist ein schöner, warmer Tag. Eine große Menschenmenge ist in Bewegung, sie essen, trinken, kaufen, verkaufen, lachen und reden. Sie sehen sehr glücklich aus, als ob sie keine Sorgen hätten. (...)

Plötzlich höre ich etwas Auffälliges, etwas, das mit Angst macht. Das unangenehme Geräusch kommt von hinten näher und näher. Jetzt kann ich das Geräusch von Stiefeln erkennen. (...). Schrecklich, sie sind da und verfolgen uns. Mein Blick sucht mein Baby. Es liegt friedlich im Kinderwagen, den meine Schwester schiebt, Am liebsten möchte ich die Hand meiner Schwester nehmen und so schnell wie möglich den Ort verlassen.

Aber meine Schwester läuft ausgeglichen neben mir und genießt das Fest. Hat sie keine Angst? (...) Merkt sie nicht, dass wir verfolgt werden? Auf einmal packe ich ihren Arm und flüstere ihr ins Ohr: »Merkst du es nicht? (...) Dass sie uns verfolgen?«

Sie dreht sich um und lacht mich aus. »Das meinst du aber nicht im Ernst?« Verzweifelt bleibe ich stehen und sehe vier Jugendliche mit einer komischen Friseur und Bierdosen in der Hand. Sie gehen an uns vorbei. »Wer sind sie? Warum haben sie sich wie Soldaten angezogen?«, frage ich meine Schwester. »Mach dir keine Sorgen, sie sind friedliche Jugendliche, die sich Punks nennen. Es ist ein Trend in Europa, Punk zu sein, wie Hippies damals.«

Was für ein komischer Trend, denke ich, und bin froh, dass die Männer weggegangen sind.

Das Buch »Ausgewundert« ist im Selbstverlag erschienen. Es ist zurzeit vergriffen, wird aber bereits nachgedruckt. Es wird dann ab Mitte Januar wieder erhältlich sein. Informationen und Kontakt gibt es per E-Mail an: ausgewundert@ gmail.com

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