»Durch Hoffnung entsteht Gemeinschaft«

Bad Nauheim (bf). Zum 50. Mal hieß es am Sonntag: »Herzlich Willkommen zu Jazz und Texte« in der Wilhelmskirche. Doch statt ausgelassen zu feiern ging es auch bei der Jubiläumsauflage um ein wichtiges und aktuelles Thema: Hoffnung in hoffnungslosen Zeiten.
Angesichts der derzeitigen weltweiten Krisen wie Klimawandel, Migration oder Krieg in der Ukraine hatte sich das Team um Pfarrer i. R. Ulrich Becke und Hermann Römer dazu entschieden. Das Thema interessierte so viele Gäste, dass sogar Zusatzstühle gestellt werden mussten.
In den sorgfältig ausgewählten Texten und Rezitationen kamen Dichter, Philosophen und Literaten zum Thema Hoffnung zu Wort. Die Wortbeiträge gaben Denkanstöße, sprachen Sorgen und Zukunftsängste aus und legten manches Mal auch den Finger in die Wunde. Gleichzeitig machte das Programm Mut, auf die Kraft der Hoffnung zu vertrauen, die befähigt, den derzeitigen Übeln zu widerstehen und sie zu meistern. »Nur aus der Hoffnung können wir die Kraft schöpfen, das Richtige zu tun«, las Constanze Cymmek gleich zu Beginn. Ulrich Becke zitierte Ernst Bloch aus »Das Prinzip Hoffnung«: »Es kommt darauf an, das Hoffen zu lernen.«
Musiker Ron Faust erzählte die Geschichte seines Neffen Paul, der an ME/CFS erkrankt ist, einer der schwersten Formen von Long-Covid. Die neuroimmunologische Erkrankung führt zu einem hohen Grad der körperlichen Behinderung und fesselt den 26-Jährigen seit eineinhalb Jahren ans Bett. Jedes plötzliche Geräusch verursacht ihm Schmerzen, alles strengt ihn an. Es gibt weder Therapie noch zugelassene Medikamente für diese Krankheit. Trotzdem gibt Paul die Hoffnung nicht auf. »Bei jedem Besuch bin ich von der Kraft und der positiven Energie beeindruckt, die von Paul ausgeht«, beschrieb Faust.
»Die Aussicht auf Besserung hält die Hoffnung und Zuversicht bei ihm und seinen Angehörigen aufrecht.« In diesem Zusammenhang führte er eine These des Hoffnungsforschers Chen Hellman an: »Hoffnung ist ein soziales Geschenk. Sie entsteht in den Beziehungen und Verbindungen, die wir miteinander haben.«
Ein alter Freund von Hermann Römer fragt angesichts des Kriegs mitten in Europa »Wo sind die Friedensstifter?« Der chinesische Philosoph Laotse beschreibt schon 600 vor Christus den Frieden in treffender Weise, mit eindrücklicher Stimme gelesen von »Jazz und Texte«-Gründungsmitglied Susanne Fey. Im Lied »Grenzen« sang Evelyn Fay mit gefühlvoller Stimme: »Ich will einen Pass, wo Erdenbewohner drin steht, einfach nur Erdenbewohner, sag mir bitte wohin man da geht.« Begleitet von Shanaka Perera am Piano und den sanften Saxofon-Klängen von Ron Faust. Das Trio »Blue Diary« spielte im weiteren Verlauf auch Lieder wie »Sound of Silence«, »Imagine«, »Let it be« oder »Halleluja«.
Im anschließenden Theaterspiel verschwammen die Grenzen zwischen Wirklichkeit und Fiktion. Das Ensemble schilderte mit Augenzwinkern anhand von fiktiven Nachrichtenbeiträgen, wie eine Waffenruhe in der Ukraine und ein anschließendes Ende des Kriegs erreicht werden könnte. Dazu ließen sie in einer streng geheimen Initiative 18 Staatsoberhäupter nach Moskau aufbrechen und den Präsidenten mit ihrem Besuch überraschen.
Inspiriert vom Kriegsende in der Ukraine beenden in der Fiktion auch andere Staaten ihre Auseinandersetzungen. Die Mullahs treten zurück, die Welt-Klima-Gipfelkonferenz beschließt wirksame Maßnahmen gegen die Erderwärmung, Diktator Lukaschenko tritt zurück, und schließlich wird ein weltweiter Waffenstillstand ausgerufen, an dessen Ende die Vernichtung aller Atomwaffen steht.
Die Gruppe um die Reihe »Jazz und Texte« ist sich bewusst, dass ein solches Denken naiv und utopisch wirken könnte. »Natürlich haben wir eine sehr lange Straße vor uns, steil und bergauf«, sagte Evelyn Fay. »Aber man muss immer an den nächsten Schritt denken, und den tun wir hier gerade.« Das fiktive Theaterspiel soll zeigen: »Durch Hoffnung entsteht Gemeinschaft. Wenn viele Menschen sich zusammentun, um etwas Positives zu bewegen, dann ist die Hoffnung ihr Begleiter zum Ziel. Was denkbar ist, das ist auch machbar. Träume sind niemals vergebens.«