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»Erde ist mir Heimat nicht geworden«

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Von: Gerhard Kollmer

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Monica Keichel © Gerhard Kollmer

Bad Nauheim (gk). »Ich habe keinen Sinn für ... Weiberglückseligkeit. Nur das Wilde, Große, Glänzende gefällt mir. Es ist ein unseliges Missverhältnis in meiner Seele. Und es wird so bleiben, denn ich bin ein Weib und habe Begierden wie ein Mann. Darum bin ich so uneins mit mir.«

Diese Zeilen vom 29. August 1801 entstammen der Feder einer 21-jährigen Frau. Es ist die am 11. Februar 1780 in Karlsruhe als Tochter eines Regierungsrats und ältestes von sechs Kindern geborene Karoline von Günderrode. Im Alter von nur 30 Jahren stirbt ihr Vater - sie ist gerade sechs Jahre alt. Karolines vier Jahre jüngere Schwestern sterben ebenfalls in jungen Jahren.

Die verwitwete Mutter kann den bisherigen hohen Lebensstandard nach einigen Jahren nicht mehr aufrechterhalten und gibt Karoline 1797 in ein Stift für adelige Witwen und Waisen am Frankfurter Rossmarkt. Hier gelten strenge Regeln, deren Einhaltung in der Praxis jedoch nicht allzu streng kontrolliert werden.

Karoline knüpft Freundschaften mit jungen gebildeten Frauen. Ihnen allen ist der Zugang zu höherer Schulbildung verwehrt - worunter die selbstbewusste junge Frau bald zu leiden beginnt.

Gegenüber Adel und Großbürgertum nimmt sie eine sehr kritische Stellung ein, wie das folgende Briefzitat vom Juni 1804 belegt: »Ich kann mich täglich weniger in die bürgerliche Ordnung fügen. Mein ganzes Wesen strebt nach einer Freiheit des Lebens, wie ich sie nimmer finden werde. Die Liebe sollte doch ganz frei von den engen Banden der Bürgerlichkeit sein.«

Monica Keichel, Friedberger Rezitatorin, widmet seit über zehn Jahren »starken Frauen« anlässlich des Internationalen Frauentags mit Vorträgen und Lesungen - so auch kürzlich in der hiesigen Stadtbücherei.

Am Beispiel der im Alter von nur 26 Jahren von eigener Hand gestorbenen Karoline vermittelte die Referentin einen intensiven Eindruck von der Lebenswelt junger, nach Freiheit und Gleichberechtigung in einer von Männern dominierten Gesellschaft dürstender Autorinnen.

Das Streben nach Emanzipation war bei dem »Günderrödchen«, wie sie von ihrer jüngeren Freundin und Verehrerin Bettine von Arnim liebevoll genannt wurde, von allem Anfang an von tiefer Resignation überschattet - wie es obiges Briefzitat belegt. Karoline eignet sich in wenigen Jahren im Selbststudium eine umfassende Bildung an - auch auf philosophischem Gebiet (Herder, Schelling).

Dass die Verunglimpfung der Günderrode als talentierte Dilletantin seitens der etablierten Literaturwissenschaft nicht zutrifft, zeigte Keichel anhand zahlreicher mit tiefer Empathie rezitierten Zitate aus Briefen sowie literarischen Texten. Einzige große Liebe Karolines ist der in einer unglücklichen Ehe lebende, acht Jahre ältere renommierte Altphilologe Friedrich Creuzer. In den wenigen Jahren dieser ungleichen Beziehung reift sie zur Dichterin, zur Schriftstellerin heran. Der biedere Creuzer ist - trotz seiner Verehrung für sie - der Unbedingtheit ihrer Gefühle nicht annähernd gewachsen. Seine verzweifelte Aufkündigung ihrer Beziehung beantwortet Karoline mit folgenden Briefzeilen: »Sie sind gar nicht der, den ich meine. Die Liebe, die mich Ihnen verband, war ein Bund auf Leben und Tod. Ist Ihnen das zu unvernünftig? Einst schien Ihnen der Gedanke sehr wert, mit mir zu sterben. Jetzt aber haben Sie wichtigere Dinge zu bedenken. Ich verstehe diese Vernünftigkeit nicht.« Diese Zeilen sind ihr letztes Lebenszeichen. Wenige Tage später stirbt sie durch einen Stich ins Herz - mit einem Dolch, den sie schon jahrelang bei sich trug.

Das Auditorium zeigt sich tief beeindruckt und spendet dankbaren Applaus. FOTO: GK

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