»Es war eine schöne Zeit« - Bad Nauheimer Buchkontor muss schließen

Das Deutsche Buchkontor in Bad Nauheim hat geistige Geschichte geatmet und ist nun selbst Geschichte. Andreas Balser hat die Immobilie erworben und Inhaberin Karin Kintler verabschiedet.
Bad Nauheim - Ein Räumungsdienst verpackt am Montag im Hof neben dem Tegut in der Bad Nauheimer Fußgängerzone Kisten mit Büchern. Welche geistigen Schätze sich darin befinden, kann man sich kaum vorstellen. Und wohin die Bananen-Kisten nun geliefert werden, wissen auch die Mitarbeiter des Räumungsdienstes auf Nachfrage nicht. Klar ist in diesen Stunden nur: Das Bad Nauheimer Buchkontor, ein Antiquariat mit unendlich vielen Raritäten, hat für immer seine Pforten geschlossen und wird geräumt.
Anfang März hat Andreas Balser, Hausverwalter aus Friedberg, das Gebäude, in dem sich das Buchkontor befand, erworben. Doch das Schicksal dieser historischen Literatur-Einrichtung hat er nicht beeinflusst. Im Gegenteil: Die Lebensleistung von Karin Kintler, der langjährigen Inhaberin, habe ihn fasziniert und dazu bewegt, die Immobilie zu übernehmen. Seit rund 20 Jahren sei er selbst dort Kunde und Besucher gewesen. Und er habe sich nur gewünscht, dass alles so weiterläuft wie bisher, erzählt er.
Eine faszinierende Historie - Käufer der Immobilie in Bad Nauheim war selbst Kunde
»Das ist einfach ein geschichtsträchtiges Objekt, und die Historie hat mich fasziniert«, sagt Balser, der aber respektiert, dass Karin Kintler und ihr Mann Udo sich alters- und gesundheitsbedingt zurückziehen mussten. »Der Abschied erfolgte kurzfristig und emotional. Es gab lange Familien-Verbindungen zwischen uns, und es sind einfach tolle und hochintelligente Menschen«, schwärmt Balser.
Er selbst hat einige Bücher-Kisten für seine Veranstaltungen übernommen und natürlich auch überlegt, ob er das Antiquariat weiter betreiben soll. »Doch das würde mir am Ende meine 40-Stunden-Woche nicht erlauben«, erklärt er. Nun wird erst einmal das Gebäude grundsaniert, und neue Fenster sollen installiert werden. Im ersten Stock wird wohl eine Arztpraxis einziehen.
Ehemalige Inhaberin des Buchkontors in Bad Nauheim widmete ihr Leben den Büchern
Karin Kintler werden natürlich alle in Bad Nauheim vermissen. Denn jeder, der in diese urige Welt der Bücher, Bilder und Raritäten eingetaucht ist, war von der gleichen Leidenschaft besessen, dem Lesen. Auch deshalb konnten sich Karin Kintler und ihr Mann Udo nie vorstellen, dass sie irgendwann einmal die älteste Buchhandlung in Bad Nauheim aufgeben. »Arbeit haben wir auch bei uns zu Hause in Bauernheim genug. Zudem bin ich leidenschaftliche Sängerin im Dorheimer Chor und habe noch viele andere Hobbys«, erzählte Karin Kintler vor einiger Zeit. Doch am Ende hat dann einfach die Kraft gefehlt.
Fast täglich zwischen 8 und 18.30 Uhr hat sie ihre Lebenszeit in der Fußgängerzone zwischen den Büchern verbracht. 1953 war das Antiquariat im vierten Stock der Kurstraße 9 von Fr. A. Wilhelm Junke gegründet worden, der noch zehn Jahre miterleben konnte, wie gut es sich nach der Geschäftsübergabe unter seiner ehemaligen Mitarbeiterin entwickelte. Das Erfolgsrezept, so Kintler, sei die Mischung gewesen. »Wir sind mehrgleisig gefahren und belieferten rund 15 Schulen mit Büchern«, berichtete sie.
Allerorten atmete man in den nun verlassenen Gängen bei ihr Geschichte ein, während es an den Wänden und in den Regalen vor Geschichten wimmelte. Man erblickte sie auf Zeitungsausschnitten, Autoren-Bildern oder Widmungen. »Wenn meine Frau anfangen würde, Anekdoten dieser langen Zeit zu erzählen, kämen Sie hier nicht mehr raus«, meinte Udo Kintler einst.
Keinen Nachfolger gefunden - Buchkontor Bad Nauheim muss aus Altersgründen schließen
Die Wetterauer Autorin Steffi von Wolf grüßte auf einem Plakat die Kintlers, Hera Lind, Peter Weck oder Gabriele Krone-Schmalz haben Lesungen mit ihnen veranstaltet, ihr Freund Heinrich Burk verfasste Gedichte für sie. »Und die Tante des Dorn-Assenheimer Krimi-Autors Daniel Holbe war in Friedberg unsere Nachbarin.« Wer in der unteren Stresemannstraße ins Deutsche Buchkontor ging, suchte nicht nur Bücher, sondern immer auch einen Plausch mit den Kintlers.
Nun stand in dieser Woche in einem Post von Andreas Balser im Internet: »Es konnte leider kein Nachfolger gefunden werden. Das Deutsche Buchkontor musste aus alters- und gesundheitlichen Gründen schließen. Wir bedanken uns sehr herzlich für fast 70 Jahre Treue. Es war eine schöne Zeit.« (Michael Humboldt)
Auch das Leschhorn in Wölfersheim hat dieses Jahr schließen müssen.

