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Feine Menüs, rauschende Bälle in Bad Nauheimer Bahnhofs-Restaurant

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Von: Hanna von Prosch

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Hier ist die Küche gewesen und hier der Herd, erinnert sich Peter Schulze im jetzigen Aufenthaltsraum von W-com. © Hanna von Prosch

Noch mehr Bad Nauheimer Bahnhofsvergangenheit: Nach Inge Haffner und Horst Schulz erinnert sich jetzt Peter Schulze, Sohn des Restaurantpächters, an 20 Jahre Leben im Bahnhof.

Peter Schulze geht nach vielen Jahren erstmals wieder durch die Räume, die seiner Kindheit Heimat gewesen sind. 1958 geboren, stand er als Knirps schon an der Theke, denn dahinter, in dem kleinen Büro des Vaters, spielte sich das Leben der Familie ab. Die Agentur W-com hat jetzt den ehemaligen Restauranttrakt gemietet, ihrem Raumbedarf angepasst, aber, soweit möglich, den Stil denkmalgerecht erhalten. Die ehemalige Küche neben dem Büro ist heute Aufenthaltsraum. Von dort führte eine Treppe zur Wohnung im ersten Stock. Wo man bisher die Türen zu den Bahnhofstoiletten vermutete, hingen riesige Fahrpläne in einem steinernen Zierrahmen, berichtigt Schulze.

Er weiß noch viel, zum Teil aus Erzählungen: von den Kristalllüstern im Restaurant der 1. Klasse, die die Amerikaner zerschossen hatten, von der Wandvertäfelung aus Ebenholz, die sein Vater später ersetzen ließ. Vor dem Rundbogen zum Restaurant war ein Vorraum mit Klavier und vier Tischen. Erste Klasse eben und alles sehr fein.

Als Großvater Otto Peter Schulze 1953 den Zuschlag für die Bahnhofsrestauration in Bad Nauheim bekam, hatten die Restaurants Renommee und Stil. Man brauchte Reputation, um hier Pächter zu werden. »Mein Großvater war zuvor Concierge im Hotel Adlon und Hoteldirektor im Grandhotel in Berlin. In der Nazizeit musste er wegen der halbjüdischen Großmutter von dort weg und übernahm das Bahnhofsrestaurant in Villach. Als er dort 1946 ausgewiesen wurde, konnte er einen Güterwagen voll Inventar mitnehmen. Das ganze Tafelsilber, das er in Bad Nauheim einsetzte, trägt noch das Signet«, erzählt Schulze.

1958 starb der Großvater. Sohn Peter und dessen Frau übernahmen den Betrieb. Statt zu studieren, machte der junge Mann eine Lehre als Kellner und Buchhalter. Mutter Schulze stand in der Küche und zauberte mit einem weiteren Koch feine Menüs und buk den beliebten Käsekuchen. »Ich habe mir auch ab dem 14. Lebensjahr Geld hier verdient«, berichtet Schulze. Das professionelle Vorlegen aus Terrinen und von Silberplatten habe er bei Oberkellner Hans Weiß gelernt.

Sonntags kamen die Honoratioren

Nachdem das Image der Bahnhofsgaststätten in den 70er Jahren allgemein schlechter geworden ist und das Bad Nauheimer Ambiente von der Bahn zusehends vernachlässigt worden ist, kann man sich heute kaum noch vorstellen, dass dies einmal ein Restaurant der gehobenen Klasse für etwa 100 Personen war. Zum sonntäglichen Mittagstisch kamen regelmäßig die Honoratioren der Stadt mit ihren Familien. Es wurden Hochzeiten ausgerichtet und rauschende Silvesterbälle gefeiert. Während der Fußballweltmeisterschaften sorgten zwei geliehene Farbfernseher für guten Besuch und Stimmung.

»Das Geschäft begann um sechs Uhr früh und ging bis drei Uhr nachts, später nur noch bis ein Uhr. Wenn morgens um sieben die Kurgäste abreisten, tranken sie noch einen Kaffee bei uns und nahmen mit Herzschmerz Abschied vom Kurschatten. Ein paar Stunden später kamen die neuen Kurgäste und warteten bei uns darauf, abgeholt zu werden«, erzählt Schulze. Dabei fällt ihm die Leibgarde von König Ibn Saud mit ihren Krummsäbeln in der Halle ein, die ebenfalls mit dem Zug angereist war.

Stangeneis und Schnapskeller

Im hinteren Teil links war der Wartesaal 2. Klasse mit einer Theke für das schnelle Bier, Schnaps, Limo, eine Bulette oder Soleier. »Da war jeden Freitag Schlägerei. Einmal bekam auch mein Vater ein blaues Auge. Bis die Bahnpolizei kam, schloss er die Schiebetür und verriegelte sie. Die Befugnisse von Bahn und Stadt waren ja streng getrennt.« Unten im Keller waren die Lagerräume für Gemüse, Wein und Kohle und zwei Kühlhäuser, in denen unter anderem das Stangeneis gelagert wurde. An den verschlossenen Schnapskeller erinnert sich Peter Schulze wegen des unangenehmen Geruchs.

Als er draußen um die Ecke biegt, wo heute der Parkplatz von W-com ist, sieht er den Sandkasten vor sich, die Garage und Schweine- und Hühnerstall, aus dem er noch lange morgens die Eier holte. Auch das verbotene Kastaniensammeln auf dem der Post gehörenden Nachbargrundstück, auf dem der Fürstenpavillon steht, hat er nicht vergessen. 1978 rentierte sich alles nicht mehr, der Vater gab auf. Er übernahm das Waldhaus. Die Bahnhofsgaststätte wurde nur noch einmal kurzzeitig verpachtet. So endet das glanzvolle Kapitel des alten Bahnhofs.

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