Gisela Borchers singt seit 77 Jahren in Bad Nauheimer Chor

Für Gisela Borchers ist der Gesang im Chor ein Quell der Freude. Seit 77 Jahren singt die Nieder-Mörlerin bereits in der evangelischen Kantorei der Bad Nauheimer Dankeskirche.
Musik ist Entspannung pur - das weiß die 87-jährige Gisela Borchers aus Nieder-Mörlen nur zu gut. Seit 1946 singt sie ununterbrochen in Chören, seit 1961 in der evangelischen Kantorei der Bad Nauheimer Dankeskirche. Unzählige geistliche Chorwerke hat sie in ihrem Gedächtnis gespeichert.
Jeden Dienstag um acht sitzt die kleine zierliche Frau mit den lebendigen Augen im Saal der Wilhelmskirche in der ersten Reihe und erwartet die Chorprobe. Anstrengend ist das für sie nicht, im Gegenteil: Singen bereitet ihr Freude und ist, neben Bewegung, die beste Medizin gegen das Altern.
Als Tochter eines Blechblasinstrumentenbauers im pfälzischen Landstuhl war sie immer von Musik umgeben. Früh lernte sie, Klavier und Orgel zu spielen, machte Urlaubsvertretung als Organistin, sang im Schulchor. Die Noten hatten im nassen Keller den Krieg überlebt, wurden getrocknet und aufgebügelt. »›Für Frauenstimmen‹ hieß es darin. Diese Bezeichnung hat uns gar nicht gefallen, aber die Werke waren toll. Mendelssohn, Schütz, Pachelbel, Schubert«, erzählt Gisela Borchers.
Mit 15 Jahren Gründungsmitglied in der Pfalz
Damals sei es selbstverständlich gewesen, dass man nach der Konfirmation in den Kirchenchor gegangen sei. Wenn sie jetzt am Klavier etwas anstimmt, ist es natürlich ein Kirchenlied. »Zum Geburtstag unserer Mutter hatten meine Geschwister und ich ihr Lieblingslied ›Nun danket alle Gott‹ einstudiert. Ich möchte nicht wissen, wie es geklungen hat, aber wir machten ihr eine große Freude«, erinnert sich Gisela Borchers.
Und weil die Menschen nach dem Krieg hungrig nach Musik waren, es aber kaum junge Chöre gab, wurde sie mit 15 Jahren Gründungsmitglied der »Evangelischen Jugendkantorei der Pfalz«. »Wir sangen alle vom Blatt. Das hat das musikalische Gehör unglaublich geschult«, ist sie sich ganz sicher. Bis heute hat sie nahezu alle Passionen und Oratorien im Alt, viele auch im 2. Sopran, im Ohr und ist eine sichere Stütze in ihrer Stimme.
Der unvergessene 19. Juni 1965
Ihr späterer Ehemann Reinhard, der ebenfalls aus einem musikalischen Haus stammt, ist auch Gründungsmitglied in der Jugendkantorei gewesen. Auf vielen Chorfreizeiten waren sie zusammen, reisten zu Auftritten durch Deutschland, einmal sogar nach Paris. Für Morgenandachten sangen sie die Choräle live im Rundfunk. »Ich hätte gerne Schulmusik studiert, aber dafür gab es kein Bafög«, bedauert Gisela Borchers. So wurde sie Pharmazeutin und traf im Studium in Karlsruhe ihren Sängerfreund wieder. 1961 wurde geheiratet, und das musikbegeisterte Paar zog nach Bad Nauheim. Natürlich gingen sie in die Kantorei, damals von Rainer Lille geleitet.
Das erste große Erlebnis hier war die Aufführung von Händels »Messias« zur Orgeleinweihung 1965. Diesen 19. Juni werden sie nie vergessen: »Ich war schwanger, und das Kind sollte in diesen Tagen kommen. Die Hauptprobe am Vormittag sang ich noch mit, aber dann wurde es mir doch zu riskant. Als mein Mann aus dem Konzert kam, hatte das Krankenhaus einer Nachbarin mitgeteilt, dass er Vater einer Tochter geworden sei. Da haben sie ihm aus dem Messias gesungen: ›Denn es ist uns ein Kind geboren…‹«, erinnert sie sich lebhaft.
Ein Faible für Schütz-Motette
Im Wohnzimmer der Borchers liegen Mengen von Chor-Auszügen, obenauf das Mozart-Requiem, das Gisela Borchers gerade zum zigten Mal probt. Bachs h-Moll-Messe sang sie schon in der Jugendkantorei, später auch in der Oberhessischen Kantorei Friedberg bei Werner Jahr. Die Bach-Passionen, Mendelssohn-Oratorien, Brahms Deutsches Requiem und viele viele Bach-Kantaten sind ihr ans Herz gewachsen.
Am liebsten aber mag sie die doppelchörige Schütz-Motette »Singet dem Herrn ein neues Lied« und Bachs »Der Geist hilft unsrer Schwachheit auf«. Doch auch Neuem verschließt sie sich nicht. So studierte sie mit der Kantorei 2017 Strawinskys Psalmensinfonie ein. »Das Alter macht der Stimme in den Mittellagen nicht so viel aus wie in den hohen. Und ich habe genug Übung auch in der so wichtigen Atemtechnik«, merkt Borchers an. Bedauerlich ist, dass ihr Mann seit etlichen Jahren nicht mehr mitsingen kann. Aber der Schatz gemeinsamen Musikerlebens trägt das Paar bis heute. Und überhaupt seien das Chorsingen und diese Gemeinschaft ein Geschenk: »Wenn wir bei Bachs Weihnachtsoratorium alle in Konzertkleidung erwartungsvoll im Chorraum stehen, beginnt das Herzklopfen schon mit den ersten Paukenschlägen«, sagt Gisela Borchers. »Musik, die man selber macht, geht durch und durch.«
Auftritt am 3. Oktober
Die Kantorei der Dankeskirche singt mit Solisten und Orchester am 3. Oktober um 19 Uhr in der Dankeskirche Bad Nauheim das Mozart-Requiem. Der Auftritt findet im Rahmen der Wetterauer Kirchenmusiktage statt.