Hindenburg: Streit um einen Straßennamen

Wer sich in Geschichte vertieft, findet oft ungelöste Fragen. Dazu gehört jene, wie die Stadt mit kritischen Straßennamen umgeht. Bisher gibt es keine Antwort, die alle Beteiligten zufriedenstellt.
Es ist ein sonniger Herbsttag, an dem Martin Fink und die Reporterin dieser Zeitung einen Spaziergang durch Nieder-Mörlen machen. Zunächst zur Hindenburgstraße, deren Name dem Lokalhistoriker ein Dorn im Auge ist. 1933 verhalf Paul von Hindenburg Adolf Hitler ins Amt. »Unaufgearbeitete Geschichte tradiert in die Gegenwart«, sagt Fink.
Es ist nicht weit bis zum Friedhof; Reporterin und Lokalhistoriker suchen sich eine Bank zum Reden. Es geht dabei nicht nur um den Straßennamen. Inhalt des Gesprächs ist auch das Thema Ehrenbürgerwürde sowie ein Stadtverordnetenbeschluss aus 2021 zu QR-Codes auf Straßenschildern. Ein Beschluss, der an einen Schildbürgerstreich erinnern mag.
Ins Rollen kam das Ganze wie folgt: Eines Tages rief die Frau des verstorbenen Mediziners Prof. Dr. Eberhard Dodt bei Fink an, weil ihr einer seiner Leserbriefe gefallen hatte. »Da fiel mir dunkel etwas ein«, erzählt Fink. Den Namen ihres Mannes kannte er durch frühere berufliche Recherchen. Dodt war ein bedeutender Bad Nauheimer Wissenschaftler, so entstand die Idee, eine Straße nach ihm zu benennen.
Die Ortsbeiräte taufen allerdings keine Straßen mehr nach Personen, um Problemen aus dem Weg zu gehen, wenn unverhofft schwierige Aspekte in den Biografien zutage treten. Fink hatte die Idee, eine Ausnahme zu machen: Hindenburg weg, Dodt her. Erst im Mai hat Darmstadt eine Hindenburgstraße umbenannt, sie heißt nun Fritz-Bauer-Straße.
Fink machte sich auf den Weg in die Hindenburgstraße, klingelte bei allen zwölf Haushalten und interviewte zehn Personen. Einige waren für eine Änderung, einige dagegen.
Was Fink ebenfalls umtreibt, ist die Sache mit der Ehrenbürgerwürde. Hindenburg wurde im April 1933 zum Ehrenbürger Bad Nauheims ernannt, ebenso Adolf Hitler und Ferdinand Werner, der 1931 als NS-Statthalter in Hessen fungierte. In der Festschrift »Zickzackwege durch Bad Nauheim« von Erich Brücher waren sie neben den anderen Ehrenbürgern genannt. 1979 erschien das Buch zum 125-jährigen Stadtjubiläum. Die Namen Hitler und Werner wurden auf SPD-Antrag seinerzeit aus der Liste entfernt, Hindenburg blieb stehen.
Zurück zu den Straßennamen. Es ist eine Angelegenheit, die in Bad Nauheim immer wieder mal aufkommt, zum Beispiel 2020 wegen General Lee (Lee Boulevard), der ein Sklavenhalter war. Zu einer Umbenennung kam es nicht, da die Adressenänderungen zu kompliziert seien.
Im Jahr drauf beantragte die FDP-Fraktion, die Straßenschilder wenigstens mit QR-Codes auszustatten. Die Codes sollten zur städtischen Webseite »Straßennamen nach Persönlichkeiten« führen. Dort wird festgehalten, ob die Person Bad Nauheim-Bezug hat, zudem führt ein Link zum Wikipedia-Eintrag. Die Koalition aus CDU, Grünen und SPD lehnte das Ansinnen der FDP ab, machte aber den Kompromissvorschlag, besagte QR-Codes auf Bad-Nauheim-Prospekte zu drucken.
Koalition will keine QR-Codes
In der Tourist Info sind solche Prospekte indes nicht bekannt. Auf Anfrage erklärt CDU-Fraktionsvorsitzender Manfred Jordis, der bei dem Beschluss nicht dabei war: »Die Koalition spricht sich weiter gegen QR-Codes auf Straßenschildern aus. Sie können beschädigt und beschmutzt werden, kosten viel Geld.« Jeder sei heutzutage in der Lage, die Namen zu googeln. »Zudem gibt es die Webseite von der Stadt.« Wieso der Magistrat den Prospekte-Beschluss noch nicht umgesetzt hat, »müssen Sie den Magistrat fragen«, so Jordis.
Auch Sven Klausnitzer (FDP), der eine kritische Aufarbeitung weiterhin für dringend notwendig hält, »ist auf diese Antwort gespannt«. Bürgermeister Klaus Kreß nimmt denn auch kein Blatt vor den Mund: QR-Codes zu Straßennamen auf Broschüren hält er für wenig zielführend, aber man werde das Thema nochmals in die Diskussion geben. »Mit dem Ziel, eine sinnvolle und technisch umsetzbare Lösung zu finden.« Man darf gespannt sein.
Fragen an Bürgermeister Klaus Kreß
Wieso behält die Stadt den Namen Hindenburgstraße bei? In Darmstadt wird der Name geändert.
Die Mehrzahl der Städte, in denen es eine Hindenburgstraße gibt, behält den Namen bei. Ausschlaggebend dafür mag sein, dass sich Geschichte nicht auslöschen lässt. Dieser Meinung bin ich auch. Es gibt keine mir bekannte Initiative aus Parlament, Ortsbeirat oder von den Anwohnern, die eine Umbenennung wünscht. Vor diesem Hintergrund sehe ich gerade auch im Kontext aktuell bestehender Herausforderungen in dieser Stadt und diesem Land keinen Handlungsbedarf.
Welchen Personen wurde in Bad Nauheim die Ehrenbürgerwürde verliehen? Und gibt es Personen, denen die Ehrenbürgerwürde aberkannt wurde?
Bislang wurde folgenden Personen die Ehrenbürgerwürde in Bad Nauheim verliehen: Heinrich Siesmayer, Prof. Dr. Friedrich Wilhelm Beneke, Christian Friedrich Gleim, Dr. Friedrich Bode, Otto Weiss, Prof. Richard Lepsius, Prof. Dr. Isidor Mayer Groedel, Frances Theodore Konitzky, Louise Kerckhoff, Paul von Beneckendorff und von Hindenburg, Franz Kissel, Prof. Dr. Arthur Weber, Prof. Dr. Wolfgang Schaper, Monik Mlynarski und Dr. Dr. h.c. Manuela Schmid. Die Ehrenbürgerwürde erlischt mit dem Tod. Dies gilt auch für Paul von Beneckendorff und von Hindenburg. Im Jahr 1979 hat die Stadtverordnetenversammlung in einer Parlamentssitzung einvernehmlich veranlasst, beispielsweise der Person Adolf Hitler die Ehrenwürde nochmals explizit nach dem Ableben abzusprechen, obwohl diese bereits mit dem Tod erloschen war. Er wurde von der Liste der Ehrenbürgerwürde Bad Nauheims entfernt. Ein Beschluss dazu existiert nicht. Auch existieren keine Akten über die Ernennung zum Ehrenbürger sowie zu Hindenburg.
Wieso benennt die Stadt keine Straße nach dem Mediziner Eberhard Dodt?
Zweifelsohne war Professor Eberhard Dodt eine bedeutende Persönlichkeit. Die Anregung, eine Straße nach Professor Dodt zu benennen, wird seit über 20 Jahren von Einzelnen vorgetragen. Der Vorschlag wurde an die in der Bad Nauheimer Stadtverordnetenversammlung vertretenen Fraktionen sowie die Ortsbeiräte Kernstadt und Nieder-Mörlen weitergeleitet. Daraufhin haben die Fraktionen sowie die beiden Ortsbeiräte beraten. Das Anliegen ist in keinem Gremium befürwortet worden.
