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Historie einer menschenfeindlichen Ideologie

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Von: Gerhard Kollmer

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Dieter Heßler Vorsitzender »Kulturforum« © Gerhard Kollmer

Bad Nauheim (gk). 25. Mai 2020: Der Tod des schwarzen US-Amerikaners George Floyd als Folge der brutalen Behandlung durch einen weißen Polizisten sei für ihn der Auslöser gewesen, sich erneut mit dem Thema Rassismus zu beschäftigen. So begann Dieter Heßler, Vorsitzender des »Kulturforums Bad Nauheim«, seinen 90-minütigen Vortrag unter dem Titel »(Anti-)Rassismus - aktuell und doch schon immer da!

?« am vergangenen Donnerstagabend im Erika-Pitzer-Begegnungszentrum.

Im ersten von insgesamt fünf Abschnitten seines Referats wies Heßler darauf hin, dass der Begriff der »Rasse« für die zeitgenössische Ethnologie und Anthropologie keinerlei wissenschaftliche Basis hat, also ein ideologisches Konstrukt ist. Über die Ursprünge des »Rasse«-Begriffs bzw. rassistischen Denkens kursieren verschiedene wissenschaftliche Theorien - wie z. B. die des Historikers Immanuel Geiss, der sie in der altindischen Kastengesellschaft verortet.

Auch wenn die griechisch-römische Antike kein verbales Pendant zum neuzeitlichen »Rasse«-Begriff kennt, finden sich auch dort Spuren xenophoben und rassistischen Denkens. So bezeichnet Aristoteles - neben Platon der größte Denker des Altertums - einen Sklaven (meist nichtgriechischer Herkunft) als »sprechendes Werkzeug« (lat. instrumentum vocale), spricht ihm also vollwertiges Menschsein ab.

Vertreibung und Völkermord

Danach wandte sich Heßler den politisch-kulturellen Umbrüchen der Frühen Neuzeit zu - d. h. der Entstehung der modernen Naturwissenschaften, der Reformation sowie der Erfindung des Buchdrucks und vor allem dem Beginn der europäischen Expansion nach Übersee. Ohne hierin einen Widerspruch zum christlichen Weltbild (Gleichheit aller Menschen vor Gott) und Wertekanon zu sehen, wurden die indigenen Völker Latein- und Nordamerikas innerhalb weniger Generationen in einem millionenfachen Genozid weitgehend vernichtet. Im Gefolge dieses Völkermords begann der ebenso inhumane »Import« hauptsächlich von sogenannten Negersklaven in die kolonisierten Gebiete.

Die 1492 beginnende Vertreibung der seit Jahrhunderten ansässigen muslimisch-jüdischen Bevölkerung aus Spanien und Portugal erfolgte unter der Parole der »limpieza de sangre«, also der Reinheit des Blutes. Hierin sieht die Rassismusforschung, so Heßler, eine der Wurzeln von Sozialdarwinismus (»Kampf ums Dasein«) und Rassenantisemitismus, wie er sich in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts herausbildet.

Der 1904 von der deutschen Kolonialmacht in »Deutsch-Südwestafrika« begangene Völkermord an den eingeborenen Herero wurde ideologisch als Kampf der weißen gegen die schwarze »Rasse« legitimiert.

Dass auch viele Philosophen und politische Theoretiker des Zeitalters der Aufklärung nicht frei von rassistischem Denken waren, erfuhren die zahlreich erschienenen Hörerinnen und Hörer im dritten, interessantesten Teil von Heßlers durch zahlreiche Originalzitate angereichertem Vortrag.

Kant, Hegel, Voltaire, Montesquieu, d’Holbach, Diderot, Hume etc.: Sie alle waren - in unterschiedlichem Ausmaß - Kritiker der überlebten feudalabsolutistischen Gesellschaft und auch des Christentums. Keiner dieser Geistesriesen hat sich längere Zeit in den Kolonien aufgehalten. Fast alle bezogen sie, sofern am Thema interessiert, ihr Wissen aus - mehr oder weniger rassistisch eingefärbten - Reiseberichten.

In merkwürdigem Gegensatz zu solch rassistischem Gedankengut »aus zweiter Hand« steht die im 18. Jahrhundert weitverbreitete Ideologie des von der europäischen Zivilisation unverdorbenen »guten Wilden« - z. B. bei Rousseau.

Dieter Heßler beendete seinen mit viel Beifall bedachten Vortrag mit einem Ausblick auf Merkmale und Funktion des zeitgenössischen Rassismus - auch in unserem Land - und auf Wege zur Überwindung dieser menschenfeindlichen Ideologie. FOTO: GK

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