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In Bad Nauheim-Rödgen gibt es eine Puppe mit Blinddarmnarbe

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Von: Harald Schuchardt

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Gisela Babitz-Koch präsentiert ihre Puppe Sonja, die sie schon seit rund 70 Jahren hat. © Loni Schuchardt

Wer Gisela Babitz-Koch in ihrem Haus in Rödgen besucht, kann auf dem Absatz im Treppenhaus eine Puppe nicht übersehen, die dort auf einem alten Stuhl sitzt und eine Besonderheit aufweist.

Schon seit 1974 sitzt die Puppe in Rödgen bei Gisela Babitz-Koch im Treppenhaus. »Da bin ich mit meinem damaligen Mann Eduard hier eingezogen«, erzählt die heute 73-Jährige, die seit 1997 Mitglied im Ortsbeirat Rödgen/Wisselsheim und seit zehn Jahren Ortsvorsteherin ist. Ihre Puppe bezeichnet die 1950 geborene Villingerin gerne als »lebenslange Begleiterin« - und das ist sie tatsächlich. Wann genau sie die Schildkröt-Puppe bekommen hat, weiß die Mutter zweier erwachsener Söhne nicht mehr genau: »Ich muss wohl drei oder vier Jahre alt gewesen sein.«

Eifersüchtig auf die Schwester

Wie die Puppe ohne Haare in ihr Leben gelangt ist, weiß Babitz-Koch dagegen noch genau: »Ich bin auf einem Bauernhof groß geworden, wir hatten nicht viel. Im Herbst fuhr mein Vater Bernhard nach Hungen, um Kartoffeln auszuliefern. Danach ging er jedes Jahr in ein Geschäft, um für mich und später auch für meine vier Jahre jüngere Schwester Christel Spielzeug zu kaufen.«

Die Ortsvorsteherin erzählt weiter: »Ich nannte die Puppe Sonja, denn bei meiner Geburt wollte mein Opa, dass ich Sonja heiße, das hatte er mir erzählt.« Neben der Puppe bekamen die kleine Gisela und ihre Schwester auch einmal eine Kinderpost von ihrem Vater. »Wir haben viel mit den Stempeln gespielt«, erinnert sich Babitz-Koch, die später auf ihre Schwester eifersüchtig wurde. Diese erhielt von ihrer etwas reicheren Patentante aus Ruppertsburg, die Mäuse für die Forschung züchtete, eine Puppe mit Haaren geschenkt. »Deshalb nannten wir unsere Tante nur ›Mäusetante‹ oder ›Mäusegote‹«, erzählt Babitz-Koch.

»Meine Puppe hatte nur eine Glatze und auch keine Augen, die auf und zu klapperten, wie die meiner Schwester«, erinnert sich die Rödgenerin, deren Puppe jedoch eine Besonderheit aufweist wie wohl kaum eine andere Schildkröt-Puppe. »Das hier ist Sonjas Blinddarmnarbe«, sagt Babitz-Koch und zieht das antike Puppenkleidchen, das ihre Großmutter genäht hat, hoch.

Anekdoten aus dem Krankenhaus

Tatsächlich sieht man auf der rechten Bauchseite eine mit Kugelschreiber aufgemalte Narbe. »Ich war wohl neun oder zehn Jahre alt, als mir im Laubacher Krankenhaus der Blinddarm entfernt wurde. Natürlich hatte ich Sonja dabei. Die bekam von einer Krankenschwester die OP-Narbe verpasst«, erzählt Babitz-Koch, die noch eine Krankenhaus-Episode parat hat: »Die Krankenschwester war damals sehr verliebt und sang immer den Schlager ›Die Liebe ist ein seltsames Spiel‹ von Conny Fro- boess und tanzte dazu. So haben wir trotz der Operation viel gelacht, und das tat dann am Bauch sehr weh.«

Babitz-Koch begann bei einem Ingenieurbüro in ihrem Heimatort Villingen eine Ausbildung zur Bauzeichnerin - zunächst gegen den Willen des Vaters, der wollte, dass sie am Hof mithilft. Doch da sprach der Opa ein Machtwort: »Das Kind lernt jetzt was.« Im Jahre 1970 zog die junge Gisela nach Abschluss ihrer Ausbildung mit 20 Jahren nach Nürnberg in ihre erste eigene Wohnung. »Meine Puppe war natürlich dabei.«

In Nürnberg arbeitete die junge Bauzeichnerin in der »Wasserabteilung« eines Ingenieurbüros, das unter anderem die Wasserversorgung im ostafrikanischen Burundi plante. Jedoch durfte sie als nicht verheiratete junge Frau die Bauleitung vor Ort nicht übernehmen. »Da hätte ich meine Sonja sicher auch mitgenommen«, sagt Babitz-Koch, die 1972 in die Wetterau kam und nach Okarben zog. Im Auftrag des Ingenieurbüros, bei dem sie gelernt hatte, begann sie, Kanalsysteme in vielen hessischen Städten zu vermessen, später dann für ein Bad Nauheimer Ingenieurbüro.

Puppe ist zum Spielen wohl in die Jahre gekommen

»Ich habe die Kanäle vieler Städte und Gemeinden in der Wetterau vermessen«, sagt Babitz-Koch, die 1992, zwei Jahre nach ihrer Scheidung, den Schritt in die Selbstständigkeit gewagt und ein eigenes Bauplanungsbüro eröffnet hat. Da saß ihre Puppe schon auf dem Treppenabsatz.

Gespielt wurde mit Sonja lange nicht mehr, bekam Babitz-Koch 1976 und 1979 doch zwei Söhne: »Da hatte die Puppe als Spielgefährtin schlechte Karten«, sagt die inzwischen zweifache Oma. Auch die Enkel sind Jungs, erst die Urenkelin ist ein Mädchen, »aber jetzt ist die Puppe im Rentenalter und zum Spielen wohl in die Jahre gekommen. So sitzt sie ihre gezählten Tage auf dem Flur ab.«

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