Janis McDavid: Ein Meister des Überwindens

Zum Auftakt der Inklusionswoche in Bad Nauheim sind Janis McDavid, ohne Arme und Beine geboren, und die Paralympische Radsportlerin Denise Schindler aufeinandergetroffen.
Radsportlerin Denise Schindler sitzt am Bühnenrand, das Prothesenbein sichtbar über das andere geschlagen. Janis McDavid steht auf seinen Beinstümpfen neben ihr - auf Augenhöhe. »Anfängerin«, sagt er zu ihr mit Blick auf die Prothese. Das sei ja nichts, er habe schließlich weder Arme noch Beine. Beide lachen. »Behinderte reißen gerne Witze«, erklären sie dem nach einer Stunde Highspeed-Vortrag über die Selbstverständlichkeit von Inklusion entspannten Publikum, das zum Auftakt der Inklusionswoche in der Bad Nauheimer Trinkkuranlage zusammengekommen ist.
Janis McDavid, Motivationstrainer, Autor, Rennfahrer, Welt-Entdecker, vor allem aber Kämpfer für die Selbstverständlichkeit von Inklusion, ließ das Publikum aufhorchen und in seiner humorvollen Art auch lachen. Seine Worte hinterließen Denk- und Dankanstöße. Denn, so machte er deutlich, man könne dankbar sein und dennoch höhere Ziele verfolgen. Ja, man müsse es sogar.
Der Abend beginnt mit einem Video: McDavid im Rennwagen beim Vorlauf eines Motorsportrennens nach dem üblichen Reglement und damit Behördenhürden. In den verklingenden Sound der Motoren fährt er mit seinem hochtechnisierten Rollstuhl zur Bühne, schwingt sich hinauf und ist da. Präsent mit Kopf und Mund und dem, was sein Körper ist. Seine kräftige, dunkle Stimme zieht die Menschen vom ersten Moment in ihren Bann. Er weiß, wo er Pausen setzt, wie er betont, welche Worte er wählt, so eindringlich, überzeugend und ehrlich, dass sich ihnen niemand entziehen kann.
Drei entscheidende Sekunden
Bis er acht Jahre alt war, sei sein Leben ohne Arme und Beine im knallgelben Rollstuhl völlig normal gewesen, sagt er. Dann habe er sein Anderssein im Spiegel entdeckt und angefangen, sich zu schämen. »In diesem Moment habe ich den Kampf mit mir selbst begonnen, für viele Jahre«, sagt er. Die anderen seien nicht das Problem gewesen, die hätten ihn ja nur so gekannt. Er probierte Prothesen aus und verwarf sie. »Das Gleichgewicht auf zwei Füßen zu halten, hat was mit Zauberei zu tun«, meint er und bewundert Denise. Er könne ja über Treppen hüpfen; was für einen Vorteil hätte er also?
Mit 17 habe er mutig entschieden, sich so anzunehmen, wie er sei. Da hatte er schon die Bekanntschaft des Auto-Spezialherstellers Roland gemacht, der nach drei wichtigen Sekunden des Überlegens sagte: »Lass es uns probieren!« Drei Sekunden könnten darüber entscheiden, ob man eine Antwort raushaue oder sie sich gut überlege, gibt der blonde Lockenkopf - seine einzige Eitelkeit ist sein Styling - zu bedenken. Es ging darum, dass er fragte, ob er jemals Auto fahren könne, denn sein Kindheitstraum waren Mobilität und Schnelligkeit, gebündelt im Wunsch, Motorradpolizist zu sein. Roland hatte ihn ernst genommen und Mut gezeigt. Längst fährt Janis ein Auto, den Joystick am »kurzen« Arm, und am liebsten schnell.
Klare Meinung auf die Frage, was er in der Politik ändern würde
»Je mehr andere den Kopf schütteln, desto eher weiß ich, ich bin auf dem richtigen Weg«, sagt er aus der Summe seiner vielen Erfahrungen heraus. Innovationen würden immer dann starten, wenn Menschen was tun, was andere nicht erwarten. Dabei denkt er auch an die Technologie, die für Menschen mit Behinderung entwickelt wird und einmal zukunftsweisend für alle sein kann. »Da sind wir doch Vorreiter«, macht er deutlich. Inklusion sei kein neuer, sondern ein natürlicher Zustand, lautet sein Credo.
Man müsse von anderen Ländern lernen. In Deutschland sei es ein echtes Abenteuer, mit einem großen Elektrorollstuhl per Bahn von A nach B zu kommen oder eine Elektro-Ladesäule zu bedienen. Deshalb hat er ein klare Meinung auf die Frage, die Denise Schindler ihm nach dem Vortrag stellt, was er in der Politik ändern würde: »Wenn in der Städteplanung, bei der Softwareentwicklung oder wo immer Menschen mit Behinderung nicht vorher gefragt oder Gesetze, die es gibt, einfach ignoriert werden, muss es die Verantwortlichen den Job kosten. Sie haben ihn nicht richtig gemacht.«
Tür für »Anstöße«, Gala-Termin, barrierefreie Multifunktionsarena
Seinen Eltern sei er unendlich dankbar, dass sie ihn im Alltagsleben nie geschont hätten, und auch sonst: »Meiner Mutter stellt sich niemand in den Weg, schon gleich keine Behörde!« Wenn Inklusion in Kindergarten und Schule selbstverständlich sei, würden die Kinder lernen, dass es Vielfalt gebe. »Es gibt zu wenig Begegnungen mit dem Anderssein, weil man das ausgrenzt.« Darauf bekam er Applaus. Sein Wunsch und Ziel: »Ich will in einer Welt leben, in der Merkmale, die uns unterscheiden, nicht zur Unterscheidung führen.«
In der Trinkkuranlage ist die Tür der »Anstöße« eröffnet worden. Denkanstöße sollen es sein. Am Samstag schnitten Erster Stadtrat Peter Krank und die heimische SPD-Bundestagsabgeordnete Natalie Pawlik das rote Band durch und gaben die Tür frei für die Inklusionswoche mit mehr als 65 Veranstaltungen, unterstützt von über 50 Kooperationspartnern. Poetry Slammer Andreas Arnold und Thorsten Zeller gaben die ersten Anstöße, nachzuhören über den QR-Code. Gleichzeitig hatten die Fachgruppe Inklusion der Stadt und der Förderverein Inklusion zum Eröffnungsabend mit Janis McDavid und Denise Schindler geladen. Dabei gab es ein dickes Lob für die vielen Schritte in der Kurstadt auf dem Weg zur Inklusion. Die Organisatoren der Charity-Gala, Andreas Weigand und Oliver Wohlers, verkündeten den neuen Termin am 16. Dezember 2023 und luden McDavid dazu ein. Und noch etwas brachten sie auf den Weg: Wohlers war von den erst kürzlich veranstalteten Special Olympics in Berlin so begeistert zurückgekommen, dass er, nach kurzer Absprache mit den Stadtverantwortlichen, als weiteren Charity-Zweck eine barrierefreie Multifunktionsarena in Bad Nauheim unterstützen will, die solche Veranstaltungen möglich macht.