Long Covid: Genesen ist noch nicht gesund

In der Klinik am Südpark in Bad Nauheim wurden, wenn es um Long-Covid ging, anfangs hauptsächlich Patienten mit Atembeschwerden behandelt. Inzwischen hat sich einiges geändert.
Dr. Bernd Friederichs, Chefarzt Innere Medizin/Kardiologie an der Median-Klinik am Südpark in Bad Nauheim, hat in den vergangenen zwei Jahren viel über Long-Covid gelernt. In Fachkreisen geht man vorsichtig geschätzt davon aus, dass in Deutschland etwa zehn Prozent der an Covid-19 Erkrankten, also etwa 3,2 Millionen Menschen (Stand September 2022), ein Post-Covid-Syndrom entwickelt haben. Die einen mit kürzerem, andere mit sehr langem Verlauf. Und man weiß, dass es sich dabei um eine Multisystemerkrankung handelt, die im Gesundheitssystem künftig eine Rolle spielen wird.
Im Mai 2021 stand noch die Rehabilitation im Vordergrund, bei der die Patienten lernen sollten, ohne stationäres Sauerstoffgerät auszukommen. Unterstützt wurden sie durch Psychotherapie. »Inzwischen nehmen wir Patienten mit internistischer Diagnose auf und können damit, hinsichtlich der Kassenabrechnung, stärker auf die Psyche eingehen«, erklärt Friederichs. Auch die Personen, die als Akutfall direkt aus den Kliniken kommen, sind weniger geworden. Stattdessen sind es Menschen, die schon mehrere Klinik- und Reha-Aufenthalte mit entsprechenden Erfahrungen hinter sich haben.
Erschöpfung, Schmerz und Depressionen
Für Friederichs ist es unerklärlich, dass immer noch zu wenigen Menschen mit Long-Covid eine Reha bewilligt werde oder sie sehr lange auf diese spezielle Behandlung warten müssten: »Jetzt kommt vielleicht ein Patient pro Woche. Dabei gibt es so viele Fälle, die einfach nicht zurecht kommen mit ihren Beschwerden. Vor allem das chronische Fatigue-Syndrom, das mit Müdigkeit, Erschöpfung, Schmerz und Depressionen einhergeht, beschäftigt uns.«
Die Betroffenen sind jünger geworden, und die Beschwerden halten länger an. Manche sagen, es sei ein Auf und Ab, wie eine endlose Achterbahnfahrt. Friederichs: »Wir nehmen die Menschen sehr ernst, aber wir müssen auch übertriebene Heilungserwartungen dämpfen. Ich verstehe gut, wenn jemand durch den schleppenden Heilungsfortschritt frustriert ist. Den Einzelnen interessiert es in seinem persönlichen Schicksal nicht, dass er nur ein Bruchteil aller Infizierten ist.« Deshalb legt Friederichs Wert darauf, dass jeder Fall einzeln gesehen und behandelt wird.
In keinem Fall aufgeben
»Wir wissen jetzt, dass sich nach fünf Wochen Reha die Menschen um sieben bis zehn Prozent besser fühlen. Das ist eine Hoffnungsperspektive«, sagt er. Daher ist sein Rat, in keinem Fall aufzugeben. »Wir lindern die Beschwerden und unterstützen die Menschen bei der Krankheitsbewältigung. Ursächlich können wir noch nicht helfen, dazu fehlen Studien.« Es helfe, wenn man den Tag strukturieren könne und ganz bewusst Pausen einlege. Volle Leistungsfähigkeit von sich zu fordern, bringe gar nichts. In eine Reha-Maßnahme werden nur Patienten aufgenommen, die nicht dauerhaft fremde Hilfe benötigen. Bei schweren Symptomen verweist Friederichs an die Post-Covid-Ambulanzen. »Die können auch neueste Ergebnisse in die Therapie einbringen, weil sie mit dem Forschungsbetrieb der Hochschulen zusammenarbeiten. Hier haben die Patienten außerdem eine feste psychologische Anlaufstation.«
Was ist mit dem Post-Vac-Syndrom?
Menschen mit dem Post-Vac-Syndrom hatte der Chefarzt noch nicht in der Reha, aber er kennt Fälle. »Das ist eine Forschungslücke. Wenn eine Covid-Erkrankung über 200 unterschiedliche Symptome hervorrufen kann, dann kann das eine Impfung rein theoretisch auch. Das Fatigue-Syndrom geht im Übrigen nicht nur auf eine Covid-Infektion zurück, sondern tritt auch bei anderen Virus- oder Autoimmunerkrankungen auf.
Friederichs ist sich mit seinem Kollegen an der Median-Klinik Flechtingen, Dr. Per Otto Schüller, einig, dass die Behandlung interdisziplinär symptomorientiert erfolgen müsse. Nach aktueller Studienlage spiele die medizinische Rehabilitation dabei eine zentrale Rolle. Bei allen Symptomen habe es eine Lernkurve gegeben. Daher dürften Strategien nicht nur für die Behandlung im akuten Krankheitsverlauf, sondern weit darüber hinaus entwickelt werden.
Buch zum Thema
Neu erschienen ist das Buch von Dr. Jördis Frommhold und Dr. Per Otto Schüller in der medizinisch-wissenschaftlichen Verlagsgesellschaft mit dem Titel »Post-COVID-Syndrom und Long-COVID: Diagnostik, Therapie und Verlauf«. Die Autoren und Herausgeber beschäftigen sich seit Beginn der Pandemie mit der Rehabilitation von Patienten nach einer Corona-Infektion. Dieses Buch soll einen Überblick über Krankheitsspektrum, Verlauf und Prognose der akuten SARS-CoV-2-Infektion geben, aber auch das Post-Covid-Syndrom näher beleuchten, indem auf unterschiedliche Organbeteiligungen und -störungen eingegangen wird und therapeutische Konzepte und Optionen erläutert werden.