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»Niemand ist gezwungen, mein Buch zu lesen«

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Von: red Redaktion

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Bad Nauheim (pm). Unter der Überschrift »Auch Lehrer können mal kräftig danebenliegen« hat Manfred de Vries, Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde Bad Nauheim, Autor und Inhalt in der Wiederauflage des Buches »Die Geschichte der Bad Nauheimer Juden« kritisiert. In dem am 6. Dezember in der WZ erschienenen Artikel schrieb de Vries unter anderem, dem Autor, Stephan Kolb, fehle es an Bildung.

Kolb hat auf die scharfe Kritik von de Vries mit folgendem Schreiben reagiert:

Niemand ist gezwungen, mein Buch über die Bad Nauheimer Juden, oder auch das über die Usinger Juden zu lesen. Auch Herr de Vries nicht.

Seit etwa 60 Jahren bin ich Leser der Wetterauer Zeitung. Noch nie habe ich eine solche unreflektierte und unqualifizierte Meinung über meine Person lesen oder hören müssen. Es ist nicht meine Aufgabe, über meine Meriten zu berichten. Aber nach diesem ungerechten und unsachlichen Angriff von Herrn de Vries muss ich doch hier einige Dinge klarstellen.

Die Recherchen und die Durchführung der beiden Bücher haben mich circa 15 Jahre gekostet. Ich habe in aller Welt Personen aus dem Kreis der überlebenden Menschen des Holocaust gesucht und gefunden. Natürlich ist auch Herrn de Vries bekannt, dass die lokalen Behörden daraufhin die noch lebenden Menschen nach Usingen und Bad Nauheim eingeladen haben. Auch diese Begegnungen, in Bad Nauheim waren es vielleicht 100 Personen, waren mit viel Empathie und Arbeit vorzubereiten und durchzuführen. Das dürfte der geschätzten Beobachtung von Herrn de Vries nicht entgangen sein.

Ich bin der Mitbegründer der Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit Wetterau in Bad Nauheim. Vor diesem Forum habe ich mehr als 30 Vorträge über jüdisches Leben in aller Welt gehalten und über jüdische Persönlichkeiten wie Kafka und Pasternak. Herrn de Vries habe ich in diesen Jahrzehnten nicht unter den Besuchern erblicken können.

Bundespräsident Herzog hat mich 1998 für diese Engagements mit einem Verdienstorden ausgezeichnet. Bei der Feierlichkeit waren circa 60 Personen des öffentlichen Lebens aus der Wetterau anwesend. Auch hier war Herr de Vries nicht zu sehen.

An einem 9. Mai habe ich in der Synagoge eine Rede gehalten, in deutscher Sprache, die von Herrn Finkelstein, damals stellvertretender Vorsitzender der jüdischen Gemeinde, in die russische Sprache übersetzt wurde. Die Resonanz der Gemeindemitglieder war warmherzig und empathisch. Mit etlichen dieser Menschen war ich über viele Jahre befreundet. Natürlicherweise sind einige von ihnen mittlerweile verstorben und nicht mehr in der Lage, Herrn de Vries in seiner unreflektierten Abneigung meiner Person zu korrigieren.

Möglicherweise habe ich in meinem Nachwort zur Neuauflage des Bad-Nauheim-Buches die Befindlichkeit des Vorsitzenden verletzt. Dort habe ich nämlich geschrieben, dass es neben Herrn Leo Keller nur noch zwei wirklich intellektuelle Leuchttürme der jüdischen Gemeinde nach dem Krieg gegeben hat. Leo Keller war zur gleichen Zeit wie meine Mutter im Schweizer Exil.

Ausgesprochen beleidigend war unter anderem auch die Bemerkung, dass ich keine Ahnung vom jüdischen Leben habe. Auch die Bedienung des gängigen Stereotyps über Lehrer lässt tief blicken.

Selbstredend bin ich bereit, mit Herrn de Vries und anderen in einem kleinen Kreis ein Gespräch über jüdische Angelegenheiten zu führen. Dieses könnte beispielsweise unter einer Mediation stattfinden. Themen könnten sein: der allgemeine Antisemitismus in seiner historischen Perspektive, der Antizionismus, das kulturschaffende Erbe der Juden in Deutschland vor 1933 etc. etc.. Auch über die jüdischen Wurzeln von Elvis Presley wäre ich bereit mit ihm zu sprechen und könnte entsprechende Literatur zur Verfügung stellen.

Einzige Bedingung meinerseits wäre, dass Herr de Vries nicht in Begleitung von einem Vertreter irgendeiner antizionistischen Bewegung erscheint. Ich habe nämlich täglich Kontakte mit mir wichtigen Personen aus Israel, die mir ein solches Verhalten nicht verzeihen würden. Ich möchte diese mir sehr nahe stehenden Menschen nicht verletzen und verlieren; schon gar nicht wegen eines Menschen, der mein Buch offensichtlich nicht verstanden hat.

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