Polyphones Spektakel vor kleinem Publikum

Eins plus eins macht zwei, tatsächlich aber kann viel mehr herauskommen, wenn zwei sich zusammentun. Im Bad Nauheimer Dolce trafen eine Big Band und ein Jazzchor aufeinander.
Heraus kam dabei ein fulminantes Konzert mit vielen magischen Momenten. So hochklassig das Programm auch war, so muss sich man sich trotzdem Sorgen um die Kultur machen.
Der Evergreen »Somewhere over the rainbow« aus dem US-Film »Der Zauberer von Oz« beschreibt ein märchenhaftes Land, in dem blaue Vögel fliegen und alle Träume wahr werden. Es gibt unzählige Versionen des Liedes, eine hat Gene Puerling für Chöre arrangiert. Als der Neu Isenburger Jazzchor »Soundsation« dieses Arrangement am Sonntagabend im Jugendstiltheater des Dolce anstimmte, flossen wunderbaren Glissandi durch den Raum und man konnte ins Träumen geraten: Wäre es nicht schöner, dieser herrlichen Musik würden vier-, fünf- oder sechsmal soviele Zuhörerinnen und Zuhörer folgen?
Die Marvin Dorfler Bigband aus Friedberg war der zweite Part dieser Zusammenarbeit, die schon 2019 Früchte trug: In der (gut gefüllten) Stadthalle gab es damals ein erstes gemeinsames Konzert der beiden Ensembles, die zu den besten ihres Genres weit und breit zählen. Jetzt, im riesigen Saal des Dolce, verloren sich die knapp 100 Zuhörer fast. Aber sie wurden für ihr Kommen reichlich belohnt.
Die Marvin Dorfler Bigband eröffnete den Abend mit zwei Instrumentalnummern, bevor Sänger Eric Borner und der Chor hinzustießen. Im Wechsel waren gemeinsame Stücke, aber auch Soloauftritte zu hören. Jazzfreunde kamen auf ihre Kosten. Was die Musiker unter der Leitung von Hans Eckhardt ablieferten, war große Klasse. Man denke nur an Pat Methenys »Heartland« im Arrangement von Peter Herbolzheimer mit den filigranen Synkopen am Anfang: Ein Ton zu früh, und das ganze Gebilde stürzt unweigerlich zusammen. Trotzdem meisterten die Musiker dieses und andere Stücke mit einer Leichtigkeit, dass man nur staunen konnte.
Wollte man die Solisten namentlich nennen, müsste man sämtliche Musiker einzeln aufführen. Besonders in den Improvisationen wurde deutlich, dass diese Band, die seit über 30 Jahren besteht, ihren Zenit noch lange nicht erreicht hat.
Jazz-Harmonien und Beat-Box-Geräusche
Der 26 Sängerinnen und Sänger (fast genauso viele Männerstimmen, wo gibt es das denn noch!?) umfassende Jazzchor »Soundsation« unter der Leitung des promovierten Musikwissenschaftlers und Dirigenten Matthias Becker stand den Instrumentalkollegen in Sachen Schwung, Pep und Lust an der Musik nicht nach. »Soundsation« geht weit über das hinaus, was landläufig als Chorgesang bekannt ist. Die Sängerinnen und Sänger verweben jazzige Harmonien mit dynamischer Rhythmik, kombinieren dies mit Beat-Box-Techniken, bei denen der Schlagzeug-Sound mit dem Mund geformt wird.
Die Zuhörer waren begeistert, spendeten lange und warmen Beifall. Allein, der Saal war fast leer. Den Corona-Sicherheitsabstand hätte man in den langen Stuhlreihen dreimal einhalten können. Ratlose Gesichter allerorten. Die Akteure auf der Bühne liefern Meisterhaftes ab, aber das Publikum bleibt den Darbietungen fern. Das muss man derzeit überall in der Kulturszene erfahren. Man kennt die Gründe, weiß von Corona, fragt sich am Ende eines durchaus sensationellen Konzerts aber, wo das noch enden soll, wenn die Zuschauer aus- und die Kassen folglich leer bleiben.
Am Freitag, 14. Oktober, folgt wird das Konzert in der Hugenottenhalle in Neu Isenburg wiederholt (20 Uhr).