Powerfrau macht Frauenpower

Rund 5000 Übungsstunden mit mehr als 100 000 Erwachsenen und Kindern hat Inge Rauner-Gensrich absolviert. Seit 50 Jahren ist die heute 74-Jährige Trainerin von zwei Gymnastikgruppen beim TGV 1860 Bad Nauheim und noch lange nicht müde. Dafür wurde sie mit der goldenen Ehrennadel des Deutschen Turnverbandes überrascht.
Muss die Frau fit sein!, denkt man sich, wenn man von der Power hört, die Inge Rauner-Gensrich Woche für Woche beim TGV 1860 Bad Nauheim an den Tag legt. Jede Übung macht sie vor, keinen Termin, ob bei Regen oder Hitze, lässt sie ausfallen. Es sei denn, sie ist mit ihrem Mann Günter auf einer abenteuerlichen Urlaubsreise.
Schon als Kind war die kleine Inge sportbegeistert, war im Turnverein Friedberg und im Schwimmverein. Da lag es nahe, dass sie auch im Studium für Lehramt für Grund-, Haupt- und Realschule ihren Schwerpunkt auf Sport legte. Mathematik und Biologie waren Zweitfächer. »Mit meiner ersten Stelle in Rockenberg zog ich nach Bad Nauheim. Ich suchte einen Turnverein und fand den TGV«, erzählt sie ebenso lebendig wie sie turnt. Da hielt Jupp Greiner, ein typischer Turner alten Schlags, die Frauenturnstunde und das Ehepaarturnen. »Ich kam frisch von der Uni und hatte ganz andere Vorstellungen. Das ist doch kein Turnen, sagte ich. Lass mich mal!« Das nächste Mal brachte Inge einen Plattenspieler mit und legte Max Greger auf: Turnen zur Musik, das war die neue Masche.
So übernahm sie 1973 zuerst vertretungsweise das Frauen- und Kindertraining und ab 1974 zwei Stunden pro Woche fest. Der Zuspruch für die flotte Sportlehrerin war enorm. Bald musste eine zweite Gruppe aufgemacht werden.
Aerobic-Bewegung in den 80ern
Außerdem kamen im Laufe der Jahre sämtliche Vorstandsposten im Verein, außer Kassenwart, auf sie zu. Sie schrieb die Festschrift zum 125-jährigen Bestehen des Vereins 1985 noch auf der Schreibmaschine und hielt interessante Festreden.
Noch heute weiß Rauner-Gensrich jedes Detail über die Turnbewegung von Anfang des 19. Jahrhunderts und den wechselhaften Werdegang des Vereins, aus dem bald nach der Gründung ein Gesangverein und die Freiwillige Feuerwehr hervorgegangen sind. Bis zum Zweiten Weltkrieg wuchs der Verein auf 1000 Mitglieder. Dann schrumpfte der Verein kriegsbedingt. Weil danach die Amerikaner Turnen und Fechten als »militaristisch« verboten, schlüpfte die Turnabteilung 1948 unter die Fittiche des VfL. Erst 1987 trennte sie sich und nahm als TGV 1860 neuen Aufschwung.
Den nahm die Powerfrau mit der Aerobic-Bewegung von Jane Fonda in den 80ern voll mit. »Natürlich kamen wir alle mit pinkfarbenen Turnanzügen, Legwarmers und Stirnbändern«, erinnert sich Inge Rauner-Gensrich lachend. »Aber das damalige Credo von Hüpfen, Springen, Federn ist ja längst verpönt. Genauso wie sich aus den 70ern die Rückenschule der Krankenkassen und Arztvorträge überholt haben.«
Der Rückengymnastik, heute »Rücken fit« genannt, ist sie aber treu geblieben. Das ist ihr Thema. Seit 25 Jahren ist auch ihr Mann nicht nur Mitturner, sondern auch kritischer, meist aber lobender Begleiter. »Hier kommen die Vielsitzer und die Rückenbelasteten. Wir machen Mobilisation und Kräftigung mit Kleingeräten und als Belohnung Entspannung«, berichtet Inge Rauner-Gensrich. Mancher sei dabei schon eingeschlafen.
Etliche Damen und Herren sind in diesem Kurs mit ihr älter geworden. Fünf von ihnen kamen auch zur Überraschungsehrung im Rahmen des jährlichen Trainerfrühstücks ins Café Müller.
Im anderen Kurs, »Power fit«, geht es mit ihr richtig zur Sache: schnelle Schrittkombinationen, Stepptraining zum Muskelaufbau wie für Astronauten und Ausdauertraining. »Aber den Kurs werde ich nächstes Jahr reduzieren«, kündigt sie an.
Für neue Impulse besucht sie zweimal im Jahr Fortbildungen. Natürlich kontrolliert sie auch, Schwätzen im Training mag sie gar nicht. Die Lehrerin lasse sich eben nicht verleugnen, sagt Inge Rauner-Gensrich. Aber: »Lachen gehört dazu. Wir machen schließlich Breitensport.«
Man merkt, wie wichtig Rauner-Gensrich das Vereinsleben ist. »Früher gingen wir nach den Turnstunden im Sportheim noch was Trinken und unterhielten uns privat. Es gab Ausflüge, Grillabende, Faschingsfeiern. Das läuft heute nicht mehr«, bedauert sie.
Als sie dann im Beisein ihrer Trainerkolleginnen und -kollegen und des Vorstands durch Christiane Juschzak, Vorsitzende des Turngaus Wetterau, mit den Worten »Für einen besonderen Menschen« die Goldene Ehrennadel des Deutschen Turnverbandes erhielt, war sie überwältigt. »Ich hatte gedacht, vielleicht bei der Weihnachtsfeier ein Blumenstrauß, aber das war richtig toll«, freut sie sich und verspricht: »Ich mache weiter, open end!«