»Schier unüberwindliche Hürden«

Bad Nauheim . Die aus drei Vorträgen hervorgegangene Abhandlung »Der Ursprung des Kunstwerks« des Philosophen Martin Heidegger zählt zu den schwierigsten Texten des - 1889 geborenen und 1976 verstorbenen - Philosophen. Dieser richte »bisweilen schier unüberwindliche Hürden zwischen seinen Texten und dem Publikum auf«, wie es in der Ankündigung des Vortrags von Dr.
Matthias Eigelsheimer in der Trinkkuranlage im Rahmen der »Philosophischen Reihe« so treffend heißt.
Hinführung statt Einführung
Entscheidet sich der Referent trotz dieser »Hürden«, die Abhandlung vorzustellen, so dürfen die Hörer mit Fug und Recht erwarten, dass sie auch das Zentrum seines Vortrags bilden wird.
Dies war am vergangenen Dienstagabend aber nicht der Fall. Höchstens ein Viertel seines einstündigen Vortrags widmete Dr. Eigelsheimer Heideggers etwa siebzigseitiger Schrift, die radikal mit allen herkömmlichen Ästhetiken bzw. Kunsttheorien, vor allem aber mit der ehrwürdigen Tradition abendländischer Substanzmetaphysik bricht.
Hinführung, nicht Einführung: Dieses methodische Vorgehen hatte der Referent zu Beginn seines Vortrags angekündigt. Seine weitgespannten Ausführungen über Kant, Hegel, Husserl und die Phänomenlogie, Rainer Maria Rilke und Adorno bahnten jedoch keinen Weg zum Thema, sondern führten in konzentrischen Kreisen um es herum.
Schließlich reichte die Zeit nur noch für einen »Rundflug« aus großer Höhe, der keine präzisen Einsichten in die verschlungenen Begriffswege der »Kunstwerk«-Abhandlung ermöglichte.
Wahrheit zeigt sich im Werk
Deshalb soll an dieser Stelle nur in gebotener Kürze nachgetragen werden, was zu explizieren eigentlich Sache des Vortrags hätte sein müssen.
Im »Ursprung des Kunstwerks« unterscheidet Heidegger zwischen dem »Dinghaften«, dem »Zeughaften« und dem »Werkhaften«, die alle drei verschiedene Weisen des Seins darstellen. Im Kunstwerk ereignet sich »die Wiedergabe des allgemeinen Wesens der Dinge«.
Im Werk ist ein Geschehen der Wahrheit am Werk. Das Wesen der Kunst ist das Sich-ins-Werk-Setzen der Wahrheit des Seienden.
Die Wahrheit zeigt sich im Werk, indem sich in ihm eine Welt »lichtet«, der es angehört. »Das Werk hält das Offene der Welt offen«. Gleichzeitig verschließt sich in ihm aber auch die natürliche und geschichtliche Wirklichkeit. Dies nennt Heidegger das »Herstellen der Erde«. Dieses Gegeneinander von Welt und Erde lässt als Streit Wahrheit geschehen, das heißt, es bringt Seiendes in seine Unverborgenheit.
Dass das Wesen der Wahrheit sich im Kunstwerk zeigt, geht auch aus der Untersuchung des Wesens der Kunst hervor. Ihr Wesen im Wirken des Werks besteht darin, den Menschen, zu dem die Kunst spricht, in die »Unverborgenheit des Seins« zu stellen.
So ist also Kunst »die schaffende Bewahrung der Wahrheit im Werk«. Kunst hat dies gemeinsam mit der Sprache, die das Seiende auch erst durch das Nennen zu seinem Sein bringt.
Darum hat nach Heidegger die Dichtung, das Sprachwerk, eine ausgezeichnete Stellung im Ganzen der Kunstwerke. Denn »das Wesen der Dichtung ist die Stiftung der Wahrheit«.
Es wäre Aufgabe des Vortrags gewesen, das hier in extremer Kürze Referierte zu erläutern bzw. zu vertiefen.
Gerhard Kollmer