Schwalheimer Rad feiert 275-Jähriges

Das Große Rad in Schwalheim mit 9,75 Metern Durchmesser und 1,3 Kilometer langem Kolbengestänge zählte im 18. Jahrhundert zu den größten der Welt. Jetzt feiert das Industriedenkmal Jubiläum.
Im Jahre 1748, als das Schwalheimer Rad in Betrieb genommen wurde, kam es zum Aachener Frieden, der den Österreichischen Erbfolgekrieg beendete. Händel komponierte die Feuerwerksmusik, und Friedrich der Große führte den feldmäßigen Kartoffelanbau ein. Die Dampfmaschine und der Blitzableiter wurden erfunden, und die Brüder Montgolfier starteten den ersten Heißluftballon.
Im Dorf Nauheim machte man sich Gedanken, wie man die Salzgewinnung effizienter betreiben könnte. »1736 beauftragte Landgraf Wilhelm der VIII. Jacob Sigismund Waitz von Eschen, den General-Salinen-Direktor von Hessen Kassel, mit der Aufgabe, Nauheim zu einer der größten Salinenanlagen mit schwachprozentiger Sole (3%) auszubauen«, berichtet Hans-Dieter Fischer im Buch »1200 Jahre Schwalheim«. Um die Sole auf die 26 Gradierbauten hochzupumpen, wurden Wasser-, Wind- und Treträder zur Energieerzeugung eingesetzt. Das Wasser für die Wasserräder kam aus der Usa.
Besonders in den Sommermonaten floss das Wasser aber unregelmäßig, sodass Waitz von Eschen 1737 den heutigen Großen Teich im Kurpark als Salinenteich anlegen ließ, ebenso die drei Waldteiche. Er setzte aber vor allem auf den regelmäßigen Fluss der aus dem Vogelsberg gespeisten Wetter in Schwalheim. Wie aber sollte die vom Wasserrad erzeugte Energie zu den Pumpen an den Gradierbauten kommen?
Bergrat Waitz von Eschen war eigentlich Rechtsanwalt, interessierte sich aber sehr für die Naturwissenschaften und konnte schon manche Erfindung vorweisen. Der Waitz’sche (Windmühlen-)Turm im Kurpark beim Sprudelhof trägt übrigens seinen Namen. Vielleicht hat er sich vom Prinzip der »Maschine von Marly« inspirieren lassen, durch die höher gelegene Gärten in Versailles mit Wasser versorgt werden konnten. Dort trieben Wasserräder insgesamt 250 Pumpen an, wobei die Wasserkraft mittels aufwendiger Gestänge übertragen wurde.
Die Drehbewegung umwandeln
In Nauheim musste die Energie von Schwalheim aus 22 Meter bergauf über 886 Meter Entfernung zur Pumpstation am Gradierbau transportiert werden. Die Kraftübertragung vom Wasserrad auf das Holzgestänge, auch Feld- oder Kunstgestänge genannt, löste der findige Bergrat, wie Hans-Dieter Fischer schreibt, so: »Durch die am Rad befestigte Kurbel und die in einem Gemäuer aufgehängte Schwinge wurde die Drehbewegung des Rads in eine hin- und hergehende Horizontalbewegung umgewandelt.« Das Gestänge konnte sogar die Richtung ändern. Die Konstruktion hieß »Kunst 7« und endete am heutigen Gradierbau III. Mit Kunst oder Wasserkunst 1 bis 6 wurden bereits die künstlichen Maschinen an den Gradierbauten benannt.
Das Waitz’sche Pendelgestänge war aber sehr wartungs- und reparaturanfällig. 1826 entwickelte Oberberginspektor Carl Anton Henschel das Rollenkastensystem, wie es noch heute existiert. Das Holzgestänge läuft auf kleinen Wagen, die aus zwei durch eine Achse verbundenen Rädern bestehen. Oben und unten laufen sie auf festen Schienen, wobei die unteren im Steinsockel eingelassen und die oberen mit Schrauben am Holzgestänge befestigt sind.
Allerdings hat sich der Erhalt der Anlage als sehr kostspielig herausgestellt, denn insbesondere das Eichenrad musste mehrmals erneuert und immer wieder repariert werden, zuletzt 2019. Für Wartung und Aufsicht waren von der Salinenverwaltung Kunstwärter beauftragt. Im Kunstwärterhaus neben dem Rad gab es ab 1954 zunächst eine Bewirtung und dann die Gaststätte »Zum kühlen Grund«, die später »Zum Großen Rad« hieß. Seit 1973 ist das Haus in Privatbesitz.
Das Rad im Wappen des Dorfes verewigt
Als 1959 die Salzgewinnung in Bad Nauheim eingestellt wurde, hatte das Große Rad schon lange seine Bedeutung verloren. Die einstmals längste Kolbenstange der Welt wurde in den 1970er Jahren auf 170 Meter verkürzt. Die »Kunst« ist in vielen Wanderführern und der Route »Industriekultur Rhein-Main« verzeichnet. Und im Schwalheimer Wappen ist das Rad verewigt.
Anlässlich des Jubiläums wird der Mühlentag am Pfingstmontag, 29. Mai 2023, auf dem Festplatz neben dem Großen Rad gefeiert. Um 10 Uhr beginnt ein feierlicher Gottesdienst. Anschließend wartet ein buntes Programm auf die Besucher.