»Sei gegrüßet, Jesu gütig«

Bad Nauheim (gk). »Sei gegrüßet, Jesu gütig«: Unter diesem Titel eines alten Kirchenlieds fand am Sonntagnachmittag in der Bonifatiuskirche ein Musikereignis statt, das lange nachklingen wird.
Regionalkantorin Eva-Maria Anton hatte für das bereits vierte, ebenfalls gut besuchte diesjährige Konzert geistliche Werke für Sopran und Orgel von neun Komponisten aus drei Jahrhunderten zusammengestellt - beginnend von Johann Sebastian Bach bis hin zum bekannten englischen Tonsetzer John Rutter.
Die Sopranistin Esther Hock kann auf eine Vielzahl von Engagements - u.a. an den Bühnen in Braunschweig, Wiesbaden und Darmstadt - zurückblicken. Seit vielen Jahren tritt sie im Papageno-Musiktheater Frankfurt auf und seit 2019 auch im Friedberger Theater Altes Hallenbad. Die Sopranistin eroberte bereits mit der Arie »Jerusalem, die du tötest die Propheten und steinigst, die zu dir gesandt sind« aus dem ersten Teil von Felix Mendelssohns 1836 in Düsseldorf uraufgeführtem »Paulus«-Oratorium die Herzen der Hörer/innen. Das Werk des 27-Jährigen beschreibt im ersten Teil den Werdegang vom Saulus zum Paulus.
Hocks glockenheller, volltönender, modulationsfähiger Sopran erfüllte das weite Kirchenschiff scheinbar mühelos mit Wohlklang. Das sollte auch in den folgenden 75 Minuten so bleiben. Das punktgenaue Zusammenwirken mit Organistin Anton trug nicht unerheblich zum hohen Niveau der Darbietung bei.
Das Georges Bizet zugeschriebene, von seinem Freund Ernest Guirard aus dem Intermezzo der 2. »Arlésienne«- Suite kompilierte »Agnus Dei« und Rossinis »Agnus Dei« aus seiner 1864 uraufgeführten »Petite Messe solenelle« luden zum Vergleich ein. Beiden Werken eignet etwas Opernhaftes - was Rossini durchaus bewusst war, wenn er in einem Brief schreibt: »Ich bin für die opera buffa geboren. Du weißt es wohl. Ein bißchen Können, ein bißchen Herz, das ist alles.«
Das ebenfalls erklingende »crucifixus« aus dem dritten Teil von Rossinis Messe zeigte jedoch - zumindest in Hocks kongenialer Interpretation -, dass der 72-jährige Tonsetzer hier mit ein wenig falscher Bescheidenheit aufwartet.
Was dann folgte - Johann Sebastian Bachs um 1705 gesetzte Choralpartita »Sei gegrüßet, Jesu gütig« in g-moll für Orgel solo, BWV 768 - war das glänzende »Zentralgestirn« des nachmittäglichen Konzerts im lichtdurchfluteten Kirchenschiff von St. Bonifatius.
Eva-Maria Anton präsentierte die elf Choralvariationen auf höchstem Niveau - technisch brillant und von tiefer Empathie getragen. So wurde diese vergeistigte Musik des etwa 20-jährigen Bach zu einem gut viertelstündigen Glücksmoment. Wer sich diesen von tiefer Glaubenszuversicht getragenen Klängen überlässt, wird mit sanfter Gewalt herausgezogen aus den Banalitäten des Alltags, fühlt die Kraft, ein wenig vom sinnlosen Ballast abzuwerfen, den er/sie mit sich herumschleppt. In der letzten Choralvariation meldet sich Bach kraftvoll, fast majestätisch zurück. Großartig!
Das nach eigener Aussage von fröhlichen lateinamerikanischen Marienfesten inspirierte siebenteilige »Magnificat« von John Rutter aus dem Jahr 1990, von dem »Et misericordia« und das suggestive »Esurientes« erklangen, gab Esther Hock noch einmal Gelegenheit, ihre selbst feinsten Nuancen der jeweiligen Vorlage gerecht werdende Stimme erklingen zu lassen.
Mit dem Vortrag des 1861 geschriebenen »Abide with me« (Bleib’ bei mir) von Henry Monk klang ein mit langanhaltendem Applaus gefeiertes Konzert der Extraklasse aus.